Rz. 22

Der Begriff "Fremdkapital" findet sich im Handelsbilanzrecht lediglich in § 255 Abs. 3 HGB.[1] Aus § 255 Abs. 3 HGB ergibt sich allerdings keine Begriffsdefinition. Auch lassen sich aus dieser Vorschrift keine Begriffsmerkmale für eine Auslegung des Fremdkapitalbegriffs ableiten.[2] In § 246 Abs. 1 HGB und § 247 Abs. 1 HGB wird dagegen nicht wie in § 255 Abs. 3 HGB von "Fremdkapital", sondern von "Schulden" gesprochen. Die Begriffe "Fremdkapital" und "Schulden" lassen sich jedoch grundsätzlich als inhaltsgleich betrachten.[3] Der Begriff "Schulden" umschließt zudem sowohl die Verbindlichkeiten als auch die Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten.[4] Verbindlichkeiten sind hierbei rechtlich bestehende Verpflichtungen, die in der Vergangenheit wirtschaftlich verursacht sind. Verbindlichkeitsrückstellungen hingegen sind entweder dem Grunde und/oder der Höhe nach ungewisse Verbindlichkeiten. Der Ansatz einer Schuld als gewisse oder ungewisse Verbindlichkeit hängt von dem Umstand ab, ob die zugrunde liegende Verpflichtung als gewiss oder ungewiss bzw. als sicher oder dem Grunde und/oder der Höhe nach als unsicher gilt.[5] Fremdkapital bzw. Schulden bzw. gewisse oder ungewisse Verbindlichkeiten sind gemäß dem Passivierungsgrundsatz durch folgende kumulativ zu erfüllende Merkmale charakterisiert:[6]

  • das Vorliegen einer Außenverpflichtung,
  • das Vorliegen einer wirtschaftlichen Belastung des Unternehmens,
  • die wahrscheinliche Inanspruchnahme.

Verpflichtungen des Unternehmens gegen sich selbst (sog. Innenverpflichtungen) lassen sich gemäß der h. M. nicht als bilanzielle Schuld bzw. als bilanzielles Fremdkapital charakterisieren.[7]

 

Rz. 23

Die Problematik der Abgrenzung des bilanziellen Eigenkapitals anhand der vorangestellten in der Rechtsprechung und in der Literatur entwickelten Kriterien für das Vorliegen von bilanziellem Fremdkapital liegt darin, dass dabei der Blick auf der aufwandswirksamen Passivierung von Schulden liegt und nicht auf der Klassifizierung von mezzaninen Finanzinstrumenten als bilanzielles Eigen- oder Fremdkapital.[8] So lässt sich zwar anhand der vorangestellten Passivierungskriterien bspw. die klassische Finanzierungsform des Darlehens eindeutig dem bilanziellen Fremdkapital zuordnen. Denn im vereinbarten Darlehensvertrag ist die Außenverpflichtung des Unternehmens als Schuldner gegenüber dem Gläubiger des Darlehens zur Rückzahlung des überlassenen Kapitals festgeschrieben. Die in dem Darlehensvertrag enthaltene Verpflichtung in Form der Rückzahlung des überlassenen Kapitals stellt zudem eine wirtschaftliche Belastung des Unternehmens dar, weil das zunächst durch die Überlassung des Kapitals erhöhte Vermögen durch die Rückzahlung des Kapitals anschließend wieder reduziert wird. Die Höhe der Außenverpflichtung ist schließlich auch quantifizierbar, da die Höhe der Kapitalrückzahlung im Darlehensvertrag festgehalten ist.[9] Dahingegen lassen sich teilweise aber auch einzelne im Handels- und Gesellschaftsrecht festgeschriebene Eigenkapitalformen unter Anwendung der vorangestellten Passivierungskriterien als bilanzielles Fremdkapital kategorisieren. Dies betrifft in bestimmten Fällen sowohl Personenhandelsgesellschaften als auch Kapitalgesellschaften. So besteht für eine Personenhandelsgesellschaft die Außenverpflichtung zur Auszahlung von Eigenkapital gegenüber einem Gesellschafter bspw. dann, wenn dieser Gesellschafter sein Gesellschaftsverhältnis mit der Personenhandelsgesellschaft kündigt und damit ausscheidet. In einem solchen Fall kann vereinbart werden, dass die Gesellschaft fortgeführt wird. Für die Personenhandelsgesellschaft besteht insofern die Außenverpflichtung und damit auch die wirtschaftliche Belastung, einen Teil ihres ursprünglichen Eigenkapitals zur Begleichung des quantifizierbaren Auszahlungsanspruchs des ausscheidenden Gesellschafters zu verwenden. Neben den Gesellschaftern einer Personenhandelsgesellschaft haben zudem auch die Gesellschafter einer GmbH im Falle ihres Ausscheidens, wenn auch keinen gesetzlichen, so aber einen durch die Rechtsprechung und das Schrifttum entwickelten eigenständigen Abfindungsanspruch gegenüber der GmbH und den anderen Gesellschaftern.[10] Ferner haben bspw. auch die Mitglieder einer Genossenschaft gegenüber der Genossenschaft bei einer Kündigung ihrer Mitgliedschaft nach § 65 GenG grundsätzlich einen Anspruch auf die Rückzahlung ihrer Geschäftsguthaben.[11] Das Geschäftsguthaben einer Genossenschaft ist Bestandteil des Eigenkapitals und gilt damit als Haftungskapital des Unternehmens. Das Geschäftsguthaben eines Mitglieds darf daher gemäß § 22 Abs. 4 Satz 1 GenG vor dem Ausscheiden des Mitglieds nicht ausgezahlt werden.[12] Auch in den beiden letzten Fällen wären alle drei vorangestellten Voraussetzungen für die Klassifizierung als bilanzielles Fremdkapital erfüllt.

 

Rz. 24

Aus den vorangestellten Ausführungen wird deutlich, dass eine Negativabgrenzung des bilanziellen Eigenkapitals über die Festlegung des Fremdkapitalbegriffs letztlich...

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