Leitsatz

1. § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 2002 a.F. versagt den Verlustabzug auch dann vom Zeitpunkt der schädlichen Anteilsübertragung an, wenn die Zuführung des neuen Betriebsvermögens dieser zeitlich nachfolgt (Bestätigung des Senatsurteils vom 5. Juni 2007 I R 9/06, BFHE 218, 207, BStBl II 2008, 988).

2. Der Verlustabzug ist (ggf. rückwirkend) in dem Feststellungsbescheid zum 31. Dezember desjenigen Veranlagungszeitraums zu versagen, in welchem die schädliche Anteilsveräußerung stattgefunden hat. Eine Versagung des Verlustabzugs erst in dem Bescheid zum 31. Dezember des nachfolgenden Veranlagungszeitraums ist nicht möglich.

3. Die Klage gegen einen Folgebescheid ist nicht allein deswegen unzulässig, weil sie ausschließlich mit Einwendungen begründet wird, die den Grundlagenbescheid betreffen (Änderung der Senatsrechtsprechung).

 

Normenkette

§ 8 Abs. 4 Sätze 1 und 4 KStG 2002 a.F., § 10d Abs. 4 Sätze 1 und 2 EStG 2002, § 40 Abs. 2 FGO, § 351 Abs. 2 AO

 

Sachverhalt

Die im Jahr 2003 gegründete Klägerin, eine GmbH, hatte zunächst vier Gesellschafter: Y mit einem Anteil von 51,2 %, R mit einem Anteil von 24,8 % sowie W und H mit Anteilen von jeweils 12 %.

Am 9.11.2004 veräußerte R seinen Anteil an Y, die nunmehr zu 76 % an der Klägerin beteiligt war. W und H übertrugen ihre Anteile am gleichen Tag an F, der dadurch eine Beteiligung von 24 % hielt.

Am 30.5.2005 teilte Y ihren Anteil und übertrug einen Teilgeschäftsanteil auf F; dadurch waren Y zu 60 % und F zu 40 % an der Klägerin beteiligt. Ebenfalls am 30.5.2005 erhöhten die Gesellschafter das Stammkapital der Klägerin auf 50.000 EUR. Den ­daraus entstehenden neuen Geschäftsanteil von 25.000 EUR zuzüglich eines ratierlich zu leistenden Aufgelds (Agio) übernahm eine Schweizer Holding‐AG. Damit waren die Holding‐AG zu 50 %, Y zu 30 % und F zu 20 % an der Klägerin beteiligt.

Das FA ging von einem schädlichen Anteilseignerwechsel zum 30.5.2005 aus und versagte den Verlustabzug im Verlustfeststellungsbescheid zum 31.12.2006, da im Jahr 2006 mittels der Agiozahlungen neues Betriebsvermögen zugeführt worden war. Das FG (Thüringer FG, Urteil vom 16.9.2015, 3 K 450/12, Haufe-Index 9667039, EFG 2016, 1024) gab der gegen die Verlustfeststellungsbescheide zum 31.12.2006 und 31.12.2007 gerichteten Klage statt, weil seines Erachtens die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 8 Abs. 4 KStG a.F. nicht vorlagen.

 

Entscheidung

Der BFH bestätigte hinsichtlich des Verlustfeststellungsbescheids zum 31.12.2006 die Entscheidung des FG als im Ergebnis zutreffend und wies die Revision des FA zurück: Eine Versagung des Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer hätte in den Verlustfeststellungsbescheiden zum 31.12.2005 vorgenommen werden müssen. Hinsichtlich des Verlustfeststellungsbescheids zum 31.12.2007 gab es der Revision des FA statt: Die Klage sei zwar zulässig, wegen § 42 FGO aber unbegründet.

 

Hinweis

1. Das wirklich "Neue" an der Entscheidung des BFH findet sich erst im dritten Leitsatz. Der I. Senat gibt seinen Sonderweg auf und schließt sich in einer verfahrensrechtlichen Frage der Rechtsprechung anderer BFH-Senate an: Auch wenn ein Kläger seine gegen einen Folgebescheid gerichtete Klage ausschließlich mit Einwendungen begründet, die den Grundlagenbescheid betreffen, so führt allein dieser Umstand, wenn im Übrigen die Sachentscheidungsvoraussetzungen gegeben sind, nicht zur ­Unzulässigkeit, sondern "nur" zur Unbegründetheit der Klage.

2. Der Streit, welche Konsequenzen aus der "Bindungswirkung anderer Verwaltungsakte" – so die Überschrift des § 351 AO – für den finanzgerichtlichen Prozess zu ziehen sind, ist wohl so alt wie die FGO selbst. Diese hat ausdrücklich die im Verwaltungsverfahren gelten­de Anfechtungsbeschränkung für Änderungsbescheide (im Verhältnis zum Ursprungsbescheid) und für Folgebescheide (im Verhältnis zum Grundlagenbescheid) mit § 42 FGO in das gerichtliche Verfahren übernommen. Unter anderem wegen der systematischen Stellung des § 42 AO im "Abschnitt I. Klagearten … Klagevoraussetzungen" geht eine Meinung davon aus, dass die Nichtbeachtung der Anfechtungsbeschränkung zwingend zur Unzulässigkeit der Klage führen müsse, während die Gegenauffassung die Klage als zulässig, i.d.R. aber als unbegründet ansieht.

3. Für beide Auffassungen sprechen beachtliche Gründe. So hatte auch der I. Senat des BFH zunächst die "Begründetheitslösung" vertreten (BFH, Urteil vom 2.9.1987, I R 162/84, Haufe-Index 61883, BStBl II 1988, 142), judizierte in der jüngeren Vergangenheit allerdings ausdrücklich auf der Basis der "Unzulässigkeitslösung" (z.B. BFH, Urteil vom 20.4.2011, I R 2/10, BFH/NV 2011, 1419). Mit der Besprechungsentscheidung ist er nicht nur zu seiner ursprünglichen Meinung zurückgekehrt, er hat sich auch wieder in die Spruchpraxis der anderen BFH-Senate (z.B. BFH, Urteil vom 1.7.2010, IV R 100/06, BFH/NV 2010, 2056) eingereiht und hierdurch einen kleinen Beitrag zur Rechtseinheit und Rechtsklarheit geleistet.

4. Dass der Streit und die nunmehr geänderte Auffassung des I. Senats nicht le...

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