Leitsatz

1. Art. 2 Abs. 1 der 6. EG-RL ist dahin auszulegen, dass dann, wenn ein Steuerpflichtiger für einen Verbraucher, wobei auf einen Durchschnittsverbraucher abzustellen ist, zwei oder mehr Handlungen vornimmt oder Elemente liefert, die so eng miteinander verbunden sind, dass sie in wirtschaftlicher Hinsicht objektiv ein Ganzes bilden, dessen Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre, alle diese Handlungen oder Elemente in mehrwertsteuerrechtlicher Hinsicht eine einheitliche Leistung darstellen.

2. Das ist bei einem Umsatz, bei dem ein Steuerpflichtiger einem Verbraucher eine zuvor entwickelte und in den Verkehr gebrachte, auf einem Datenträger gespeicherte Standard-Software überlässt und anschließend an die besonderen Bedürfnisse dieses Erwerbers anpasst, auch dann der Fall, wenn dafür zwei getrennte Preise gezahlt werden.

3. Art. 6 Abs. 1 der 6. EG-RL ist dahin auszulegen, dass eine einheitliche Leistung, wie die in Nr. 2 dieses Tenors genannte, als "Dienstleistung" einzustufen ist, wenn die fragliche Anpassung weder unbedeutend noch nebensächlich, sondern vielmehr von ausschlaggebender Bedeutung ist. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn diese Anpassung angesichts von Umständen wie ihrem Umfang, ihren Kosten oder ihrer Dauer entscheidend dafür ist, dass der Erwerber eine auf ihn zugeschnittene Software nutzen kann.

4. Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dritter Gedankenstrich der 6. EG-RL ist dahin auszulegen, dass er auf eine einheitliche Dienstleistung wie die in Nr. 3 dieses Tenors genannte Anwendung findet, wenn sie einem innerhalb der Gemeinschaft, jedoch außerhalb des Landes des Dienstleistenden ansässigen Steuerpflichtigen erbracht wird.

 

Normenkette

Art. 2, Art. 5, Art. 6, Art. 9 der 6. EG-RL (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1, § 3 Abs. 9, § 3a Abs. 3, § 3a Abs. 4 UStG)

 

Sachverhalt

Levob (Sitz: Niederlande), eine Versicherungsgesellschaft, schloss 1997 einen Vertrag mit der amerikanischen Firma FDP über die Überlassung eines Computerprogramms, das sie (FDP) bei Versicherungsgesellschaften in den USA vermarktet.

Zusätzlich – und getrennt vergütet von der entgeltlichen Übergabe des Datenträgers mit Basissoftware in den USA – erwarb Levob die Lizenz, bezahlte extra für die Installation, die Schulung der Mitarbeiter und die Anpassung der Software an ihre Bedürfnisse.

Levob meinte, es handle sich um getrennte Leistungen und die Lieferung der Basissoftware sei in den USA steuerbar.

 

Entscheidung

Die ausführlichen Leitsätze und die Praxis-Hinweise zeigen den Weg für die Beurteilung solcher Sachverhalte. Dem ist nichts hinzuzufügen.

 

Hinweis

Das Urteil betrifft den Erwerb von Software, ihre anschließende Anpassung an die Bedürfnisse des Erwerbers, ihre Installierung und eine Schulung des Personals, die Abgrenzung Lieferung oder sonstige Leistung und den Leistungsort.

Art. 9 Abs. 1 der 6. EG-RL entspricht § 3a Abs. 1 UStG. Leistungsort ist nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der 6. EG-RL (vgl. § 3a Abs. 3 und 4 UStG) der Sitz-/Niederlassungsort bei Leistungen von Beratern, Ingenieuren, Studienbüros, Anwälten, Buchprüfern und sonstigen ähnlichen Leistungen sowie die Datenverarbeitung und die Überlassung von Informationen.

Die Frage, ob eine (einheitliche) oder mehrere Leistungen vorliegen, ist von Bedeutung sowohl für den Leistungsort als auch für Steuersatz oder Befreiung.

1. Bei einem Leistungsbündel ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Grundsätzlich ist jeder Umsatz für sich zu beurteilen. Ein Umsatz, der in einer wirtschaftlich einheitlichen Leistung besteht, darf aber im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden. Es sind deshalb die charakteristischen Merkmale des fraglichen Umsatzes zu ermitteln, um festzustellen, ob der Steuerpflichtige dem Verbraucher, wobei auf einen Durchschnittsverbraucher abzustellen ist, mehrere selbstständige Hauptleistungen oder eine einheitliche Leistung erbringt. Eine einheitliche Leistung liegt insbesondere vor, wenn ein Teil oder mehrere Teile die Hauptleistung, ein oder mehrere andere Teile aber Nebenleistungen darstellen, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Das Gleiche gilt, wenn der Steuerpflichtige für den Verbraucher, wobei auf einen Durchschnittsverbraucher abzustellen ist, zwei oder mehr Handlungen vornimmt oder Elemente liefert, die so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre (vgl. RdNrn. 19 – 22).

Die Vereinbarung getrennter Preise ist nicht ausschlaggebend (RdNr. 25).

Diese Feststellung ist grundsätzlich Sache der nationalen Gerichte.

2. Die Einstufung als Dienstleistung oder Lieferung verlangt die Bestimmung der dominierenden Bestandteile der Leistung aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers.

3. Für die Bestimmung des Leistungsorts gilt: Zwischen Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 der 6. EG-RL (§ 3a Abs. 1 und Abs. 24 UStG) besteht kein Regel-Ausnahmeverhältnis: Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der 6. EG-RL ist deshalb nicht eng auszu...

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