Einer der größten Fehler ist die Annahme, dass der Lagebericht kaum gelesen wird. Unter anderem die gesetzliche Veröffentlichungspflicht führt dazu, dass weitere interessierte Stellen Informationen aus dem Lagebericht ziehen werden. Einige Beispiele:

  • Der Staat erhält den Jahresabschluss mit der Steueranmeldung. So können z. B. die Schwerpunkte einer Betriebsprüfung auf Inhalte des Lageberichts bezogen werden (z. B. hohe Abschreibungen auf Forderungen).
  • Kreditversicherer lassen sich die Jahresabschlüsse der zu versichernden Unternehmen geben. Sie schließen daraus auf ihr Risiko.
  • Gesellschaftliche Gruppen können Interesse an den Aussagen im Lagebericht haben, um ihre Aktionen zu begründen (z. B. durch Erwähnung von Umweltrisiken im Lagebericht).
 
Praxis-Beispiel

Nachbar verhindert Betriebsausbau

Der Geschäftsführer der Schlachthof West GmbH hatte von der Gesellschafterversammlung die Genehmigung erhalten, den Betrieb langfristig wesentlich auszubauen. Das hat er in den Lagebericht geschrieben, auch um Banken und Gesellschaftern dies aufzuzeigen. Als ein kritischer Nachbar dies im elektronischen Bundesanzeiger las, gründete er eine Bürgerinitiative gegen den Ausbau, da erhebliche Belastungen erwartet wurden. Die Initiative konnte die lokalen Politiker frühzeitig für sich gewinnen, sodass die notwendigen Genehmigungen nicht erteilt wurden. Die Auswirkungen auf die GmbH waren erheblich.

Mitbewerber finden Anregungen

Als die gesetzlich schon lange vorgeschriebene Veröffentlichung von Jahresabschlüssen auch praktisch durchgesetzt wurde, ging ein Aufschrei durch die deutsche Wirtschaft. Obwohl die Zahlen schon relativ alt sind, wenn sie veröffentlicht werden, wurde vor allem der Zugriff durch die Mitbewerber als untragbar erachtet. Doch nicht so sehr die relativ alten Zahlen, zudem noch stark aggregiert, stellen eine Gefahr dar. Vielmehr enthält der Lagebericht wichtige und nützliche Informationen für die Konkurrenten:

  • Beschreibungen zu den Entwicklungen im Erfolg der Gesellschaft enthalten häufig auch Angaben zu Veränderungen im Rohstoffbereich und Hinweise auf Beschaffungsquellen.
  • Die Erklärung von Kostenentwicklungen lässt auf die Kostenstruktur schließen. Wenn nur wenige Produkte hergestellt werden, kann so eine Kalkulation nachvollzogen werden.
  • Die Erwähnung von Chancen und Risiken und die Beschreibung der erwarteten Entwicklung ergeben Ansatzpunkt für eine Marktstrategie der Mitbewerber.
 
Praxis-Beispiel

Verstärkter Ausbau in neuen Märkten dank Informationen aus dem Lagebericht

Der Geschäftsführer der Martini Maschinenbau GmbH, Gerhard Werner, schaut sich den gerade veröffentlichten Jahresabschluss seines größten Mitbewerbers auf dem engen Markt der Spezialmaschinen für die Druckindustrie an. Dort spricht der Autor des Lageberichts von Risiken bei der Finanzierung des Auslandsgeschäftes und gleichzeitig von der geplanten Ausweitung der Aktivitäten nach Osteuropa. Daraufhin beschließt Herr Werner, den eigenen ebenfalls geplanten Ausbau in den gleichen Märkten zu forcieren, um den Mitbewerber zu größeren finanziellen Anstrengungen zu zwingen. Er hofft, damit den finanziellen Spielraum des Konkurrenten auch auf dem deutschen Markt einzuschränken und dadurch für seine GmbH Vorteile zu erzielen.

Hier zeigt sich der Konflikt zwischen den Grundsätzen Wahrheit und Vollständigkeit bei der Erstellung des Lageberichts und dem Wunsch, die Informationen nur gefiltert weiterzugeben. Beim Schreiben des Lageberichts muss sich der Geschäftsführer bewusst sein, welche Leser er befriedigt und wie er deren Ansprüche für sich und seine Gesellschaft bei der Gestaltung des Lageberichts nutzen kann.

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