Rz. 1

Eines der bedeutendsten Projekte der internationalen Rechnungslegung bildete die Entwicklung von Rechnungslegungsgrundsätzen für die Abbildung von Kundenverträgen.[1] Ziel dieser Bemühungen war die Entwicklung einheitlicher Grundsätze für die Abbildung sämtlicher Kundenverträge und damit die Vermeidung von Widersprüchen in den Rechnungslegungsvorschriften zwischen den unterschiedlichen Erlöskonzeptionen in den seinerzeit vom IASC verabschiedeten Standards IAS 18 ("Umsatzerlöse") und IAS 11 ("Fertigungsaufträge"). Während IAS 18 auf dem "risk-and-rewards approach" basierte, war der "continuous approach" die Grundlage des IAS 11.[2] Aufgrund der in IAS 18 enthaltenen vergleichsweise allgemeinen Regelungen erfolgte zeitlich nachfolgend eine partielle Ergänzung dieses Standards (SIC-31, IFRIC 13, IFRIC 15 und IFRIC 18) durch mehrere Interpretationen.

 

Rz. 2

2014 verabschiedeten IASB und FASB IFRS 15 "Revenue from Contracts with Customers", der die bisherigen Standards IAS 18 und IAS 11 sowie die hierzu ergangenen Interpretationen ersetzte. IFRS 15 enthält für alle dem Anwendungsbereich des IFRS 15 (Rz. 6 f.) unterliegenden Kundenverträge ein einheitliches 5-stufiges Erfolgsrealisierungsmodell. Im Gegensatz zu den Vorgängerstandards wird eine einheitliche Ausrichtung der für die Erfolgsrealisierung anzuwendenden Bilanzierungsregeln am "control"-Ansatz gewählt, die auch im Einklang mit der im Conceptual Framework enthaltenen Definition der Vermögenswerte steht.[3]

 

Rz. 3

Der Begriff des "Kundenvertrags" (contracts with customers) ist nicht explizit definiert. IFRS 15 definiert "contract" als eine Vereinbarung mit mindestens 2 Parteien, die durchsetzbare Rechte und Pflichten schafft. "Kunden" sind definiert als eine Partei, die mit dem Unternehmen einen Vertrag über den Erhalt von Gütern oder Dienstleistungen aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit des Unternehmens im Austausch für eine Gegenleistung geschlossen hat.[4] Ebenso definiert IFRS 15 nicht den Begriff des Fertigungsauftrags – im Gegensatz zu dem vormals einschlägigen IAS 11. Fertigungsaufträge sind daher keine speziell herausgestellte Untergruppe der Kundenverträge. Die IFRS-Rechnungslegungsvorschriften für Fertigungsaufträge richten sich somit nach den allgemeinen Regelungen für Kundenverträge i. S. von IFRS 15, welche auf die spezifischen Charakteristika dieser Verträge anzuwenden sind.

 

Rz. 4

Allgemein wird im Schrifttum unter einem Fertigungsauftrag eine komplexe, über einen längeren Zeitraum – häufig über einen Bilanzstichtag hinweg – abzuwickelnde Produktionsdurchführung aufgrund eines Kundenvertrags verstanden.[5] Allgemeine Charakteristika der Fertigungsaufträge sind zumeist:

  • zeitliche Vorverlagerung des Absatzes in Form eines konkreten Kundenvertrags vor Beginn der Produktion,[6]
  • kundenspezifische Einzel- oder Variantenfertigung als Fertigungstyp,[7]
  • Werkverträge nach § 631 BGB als rechtliche Grundlage. Somit trägt der Hersteller bis zur Abnahme des Werks durch den Besteller die Gefahr des zufälligen Untergangs. Die Abnahme des Werks setzt dabei in der Regel die Fertigstellung voraus.[8]
  • Preisbildung mit hohen Unsicherheiten und Vorliegen eines hohen Kalkulationsrisikos.[9]

Typische Beispiele sind der Bau von Kraftwerken, Raffinerien, Produktionsstätten, Verkehrsprojekte,[10] der Bau von Schiffen und Flugzeugen, aber auch Softwareentwicklungen.[11]

 

Rz. 5

Die deutsche Rechnungslegung enthält weder besondere Rechnungslegungsvorschriften für Kundenverträge noch für die Subkategorie der Fertigungsaufträge. Daher sind zunächst die allgemeinen Bewertungsgrundsätze, insbesondere das Realisationsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 2. Halbsatz HGB), zur Bestimmung des Erlösrealisierungszeitpunkts heranzuziehen. Da gesetzliche Präzisierungen zum Inhalt des Realisationsprinzips auf verschiedene Kundenverträge fehlen, sind basierend auf den zivilrechtlichen Gestaltungen der einzelnen Vertragstypen und -gestaltungen in Rechtsprechung (insbesondere steuerrechtliche) und Kommentierung Kriterien entwickelt worden, bei deren Vorliegen es zur Realisierung von Umsatzerlösen kommt.

Gerade bei Fertigungsaufträgen, die sich über mehrere Geschäftsjahre hinziehen (von der Angebotserstellung über den Vertragsabschluss und die Fertigung bis hin zur Abnahme), stellt sich jedoch in der Kommentierung die Frage, ob das Realisationsprinzip eine angemessene Abbildung dieser Geschäftstransaktionen sichert. Daher hat das Schrifttum verschiedene Modelle der Erfolgsrealisierung für Fertigungsaufträge entwickelt, die eine angemessene Ertragsrealisierung von Fertigungsaufträgen sicherstellen (sollen).

[1] Vgl. Grote/Hold/Pilhofer, KOR 2014, S. 405.
[2] Vgl. Grote/Hold/Pilhofer, KOR 2014, S. 406 m. w. Literaturnachweisen.
[3] Vgl. hierzu Wüstemann/Wüstemann, WPg 2014, S. 930. Jedoch ist diese Konsistenz zum "control"-Ansatz insbesondere für Fertigungsaufträge bereits im vorausgehenden ED/2011/6 und hieran anknüpfend in IFRS 15 deutlich gelockert worden. Vgl. Fink/Ketterle/Scheffel, DB 2012, S. 19...

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