Rz. 106

Als zweites sachlich begründetes Einbeziehungswahlrecht sieht § 296 Abs. 1 Nr. 2 HGB vor, dass die Einbeziehung eines Tochterunternehmens in den Konzernabschluss unterbleiben kann, wenn die für die Aufstellung des Konzernabschlusses erforderlichen Angaben nicht ohne unverhältnismäßig hohe Kosten oder unangemessene Verzögerungen zu erhalten sind. In Bezug auf die Kosten ist für die Ausübung ein krasses Missverhältnis zwischen den Kosten der Abschlusserstellung, d. h. die Kosten für die Beschaffung der Informationen, und dem zu erwartenden Informationsgewinn zu verlangen. Dabei ist nur abzustellen auf die Kosten, die zusätzlich für eine Vollkonsolidierung im Gegensatz zur Bewertung at equity entstehen. Der Informationszuwachs durch die Vollkonsolidierung wird abhängig sein von der Wesentlichkeit des Tochterunternehmens.

 

Rz. 107

Da die Begriffe unverhältnismäßig hohe Kosten oder unangemessene Verzögerungen objektiv nicht quantifizierbar sind, für die Aufstellung eines Konzernabschlusses eine 5-monatige Frist besteht und die heutigen Kommunikationsmöglichkeiten einen umfassenden und zeitnahen Datentransfer ermöglichen, sollte dieses an Wirtschaftlichkeitsüberlegungen orientierte Wahlrecht sehr restriktiv ausgelegt werden und nur in Ausnahmefällen zur Anwendung kommen.[1] Das Vollkonsolidierungswahlrecht nach Abs. 1 Nr. 2 kann stets nur für 1 Jahr gelten, da es – wenn überhaupt – lediglich durch extreme Ausnahmesituationen, wie außergewöhnliche Ereignisse oder Katastrophenfälle, begründbar ist (DRS 19.93). DRS 19.91 nennt als mögliche Anwendungsfälle von unverhältnismäßig hohen Kosten und unangemessenen Verzögerungen

  • gravierende technische Probleme (z. B. Zusammenbruch der Datenverarbeitung, Vernichtung von Datenbeständen),
  • Streiks,
  • Naturkatastrophen sowie
  • politische Behinderungen.

Ein weiterer denkbarer Anwendungsfall ist nach DRS 19.92 auch der Erwerb eines Tochterunternehmens am oder kurz vor dem Konzernabschlussstichtag, soweit die erforderlichen Anpassungen an die Konzernvorgaben bzw. Konsolidierungsmaßnahmen nicht zeitgerecht und zu vertretbaren Kosten möglich sind. Dabei ist allerdings zu beachten, dass zumindest ein (zwischenzeitlicher) Verzicht auf die Vereinheitlichung abweichender Bewertungsmethoden zulässig ist (§ 308 Abs. 2 Satz 4 HGB). Die in § 301 Abs. 2 Satz 2 HGB vorgesehene Möglichkeit einer provisorischen Erstkonsolidierung mit verlängertem Wertaufhellungszeitraum degradiert das Einbeziehungswahlrecht zusätzlich zu einem eher bedeutungslosen Tatbestand. Eine Nichteinbeziehung wegen eintretender Verzögerungen ist kaum mehr vertretbar und in der Praxis bereits höchst selten. Sollte das Mutterunternehmen selbst eine provisorische Erstkonsolidierung nicht zeitnah durchführen können, muss sich zudem das Management fragen lassen, auf welcher Grundlage es die Erwerbsentscheidung eigentlich getroffen hat.[2]

[1] Keitz/Ewelt-Knauer, in Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht, § 296 HGB Rz. 34.1, Stand: 1/2020.
[2] Vgl. Kreipl/Müller, in Bertram/Kessler/Müller, Haufe HGB Bilanz Kommentar, 13. Aufl. 2022, § 296 HGB Rz. 35.

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