Unternehmen mit einem breiten Spektrum von Aktivitäten können in der Regel nur über Stimmrechte oder ähnliche Rechte beherrscht werden. Folgende Grundfälle führen regelmäßig zur Beherrschung durch den Investor:

  • Der Investor hält selbst oder über einen für ihn Handelnden (agent) die (für die relevanten Entscheidungen notwendige) Mehrheit der Stimmrechte in der Gesellschafterversammlung oder bezüglich des sonst für die Beherrschung der Gesellschaft maßgeblichen Organs.
  • Der Investor hat aufgrund von Vereinbarungen mit anderen Gesellschaftern (Stimmrechtsbindungsverträge) eine entsprechende Mehrheit.
  • Der Investor kann aufgrund eines Beherrschungsvertrags die Geschäfte der untergeordneten Gesellschaft bestimmen.
  • Der Investor hat aus Call-Optionen oder anderen Vereinbarungen potenzielle Stimmrechte, die allein oder i. V. m. anderen Rechten eine Beherrschung ermöglichen.
  • Der Investor hat eine nachhaltige Präsenzmehrheit.

Hinsichtlich der Beherrschung durch Stimmrechte gilt: Die Mehrheitsbeteiligung des Tochterunternehmens am Enkelunternehmen ist im Normalfall voll und nicht mit durchgerechneter Anteilsquote zu berücksichtigen. Im Einzelfall kann eine andere Beurteilung möglich sein, wenn die indirekte Kontrollmöglichkeit über das andere Tochterunternehmen eingeschränkt ist. Hierzu folgendes Beispiel:

 

Beispiel

Die M AG ist

  • zu 30 % an der T2 und
  • zu 60 % an der T1 beteiligt.
  • T1 hält wiederum 30 % der Anteile an der T2.

Im Normalfall sind der M AG nicht 30 % + 0,6 × 30 % = 48 %, sondern 30 % + 1 × 30 % = 60 % der Stimmrechte an der T2 zuzurechnen. T2 ist Tochterunternehmen, weil M über 30 % der Stimmrechte direkt und über weitere 30 % indirekt, also insgesamt über 60 % der Stimmrechte verfügt.

Variante

Werden die anderen 40 % an der T1 jedoch von E gehalten und ist durch den Gesellschaftsvertrag von T1 oder in sonstiger Weise gesichert, dass abweichend von den sonstigen geschäftspolitischen Maßnahmen der T1 alle Entscheidungen der T1 in Bezug auf die Beteiligung an der T2 ein Einvernehmen von M und E voraussetzen, so reicht die Kontrolle von M auf T1 nicht auf T2 durch. T1 ist zwar Tochterunternehmen von M, da für alle sonstigen geschäftspolitischen Maßnahmen der T1 normale Mehrheitsregeln gelten. M kann jedoch nur im Einvernehmen mit E die Stimmrechte der T1 in der Gesellschafterversammlung der T2 ausüben.

M beherrscht somit nur die eigenen Anteile an der T2, während sie die von T1 und T2 gehaltenen Anteile nicht beherrscht. T2 ist nicht Tochterunternehmen der M.

Bei mehr als der Hälfte der Stimmrechte eines Unternehmens ist in der Regel eine Beherrschung anzunehmen (Kontrollvermutung). Eine Ausnahme kann z. B. gegeben sein

  • in der Insolvenz des Tochterunternehmens mit Übergang aller wesentlichen Verfügungsrechte auf den Insolvenzverwalter,
  • im Fall eines Entherrschungsvertrags zwischen Mutter- und Tochterunternehmen,
  • in Fällen, in denen der Gesellschaftsvertrag alle wesentlichen Entscheidungen an ein über der Anteilsquote liegendes Quorum (z. B. 75 %) bindet,
  • in Fällen, in denen nach ausländischem Recht Produktion, Preise, Zusammensetzung der Geschäftsführung usw. in erheblichem Maße durch staatliche Behörden und Vorschriften beschränkt sind.

Die Entscheidungsgewalt (power) liegt regelmäßig dann beim Investor, wenn er über eine Stimmrechtsmehrheit in der Gesellschafterversammlung verfügt oder ähnliche, z. B. auf andere Organe (Geschäftsführung, Aufsichtsrat) bezogene Mehrheitsrechte hat (IFRS 10.B15 und IFRS 10.B16). Zu den sich hieraus bei divergierender Organmehrheit ergebenden Problemen folgendes Beispiel:

 

Beispiel

A und B halten je 50 % der Anteile und Stimmrechte am Unternehmen T.

Die Satzung sieht ein dreiköpfiges Aufsichtsgremium und ein dreiköpfiges Geschäftsführungsgremium vor.

A ist als Kapitalgeber von größerer Bedeutung (Stellung von Sicherheiten für Banken usw.). B bringt das größere operative Know-how ein. Der Gesellschaftsvertrag sieht demgemäß vor, dass

  • B die Mehrheit der Geschäftsführer stellt,
  • A jedoch die Mehrheit im Aufsichtsrat erhält.

Die entsprechenden Entsendungs- und Abberufungsrechte sind in der Satzung verankert.

Beurteilung

Bei oberflächlicher Auslegung von IFRS 10 besteht eine Mutter-Tochter-Beziehung sowohl zwischen A und T als auch zwischen B und T (erste Alternative).

Bei genauer Lektüre stellt der Standard aber nicht auf irgendeine Organmehrheit ab, sondern auf die Mehrheit in dem Organ mit den größten Machtbefugnissen. Man wird daher würdigen müssen, welche Rechte die Geschäftsführung hat und welche Rechte dem Aufsichtsrat, z. B. im Rahmen genehmigungsbedürftiger Geschäfte, zustehen. Je nach Würdigung wird ein Tochterunternehmen von A oder von B oder ein Gemeinschaftsunternehmen i. S. v. IFRS 11 vorliegen. Bedürfen etwa alle wesentlichen Entscheidungen der Geschäftsführung der vorherigen Zustimmung des Aufsichtsorgans, so kommt es eher auf die Mehrheitsverhältnisse im Aufsichtsorgan an. Umgekehrt sind die Mehrheitsverhältnisse im Aufsichtsorgan von geringer Bedeutung, wenn das Aufsichtsorgan (z. B....

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