Leitsatz

Trotz der zu § 1 Abs. 6 BErzGG ergangenen Vorlagebeschlüsse des BSG vom 03.12.2009, B 10 EG 5/08 R, B 10 EG 6/08 R und B 10 EG 7/08 R ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, dass der Kindergeldanspruch nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer, die im Besitz bestimmter Aufenthaltstitel sind, nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG n.F. von der Integration in den deutschen Arbeitsmarkt abhängt (Festhalten am Senatsurteil vom 22.11.2007, III R 54/02, BFH/NV 2008, 457, BFH/PR 2008, 201).

 

Normenkette

§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c und Nr. 3 EStG, § 2 Abs. 3, §§ 23 ff. AufenthG, § 1 Abs. 6 BErzGG, Art. 3 Abs. 1, Art. 100 GG

 

Sachverhalt

Die aus dem ehemaligen Jugoslawien stammende Klägerin reiste im November 2000 im Alter von 18 Jahren in die Bundesrepublik ein, um zu ihrem 16 Jahre alten Verlobten A zu ziehen. Zunächst war sie ausländerrechtlich geduldet. In der Folgezeit brachte sie zwei Kinder zur Welt. Nachdem ein mazedonischer Einwanderer die Vaterschaft für ein drittes Kind anerkannt hatte, erhielt dieses die deutsche Staatsbürgerschaft. Der Unterhalt der Klägerin und ihrer Kinder war durch Sozialleistungen sichergestellt. Die Ausländerbehörde erteilte der Klägerin im Dezember 2005 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Den Antrag auf Kindergeld lehnte die Familienkasse ab.

Das FG wies die Klage ab (FG Düsseldorf, Urteil vom 09.11.2007, 18 K 1580/06 Kg, Haufe-Index 1985712, EFG 2008, 388).

 

Entscheidung

Der BFH setzte das Verfahren nicht aus und bestätigte das FG. Der Vortrag der Klägerin, sie sei als Roma politisch verfolgt und von der Ausländerbehörde falsch beraten worden, ihr habe ein zum Bezug von Kindergeld berechtigender Titel zugestanden, änderte daran nichts.

 

Hinweis

1. Die am 01.01.2006 als Reaktion auf den Beschluss des BVerfG vom 06.07.2004, 1 BvL 4/97 (BFH/NV 2005, Beilage 2, 114) in Kraft getretene und auf alle nicht bestandskräftigen Fälle anzuwendende Neuregelung der Kindergeldberechtigung von Ausländern, die nicht Staatsangehörige eines EU- oder EWR-Staats sind, differenziert nach der Art des Aufenthaltstitels. Entscheidend ist, welchen Titel der Ausländer tatsächlich besitzt und nicht, welchen er beanspruchen könnte. Bei einigen schwächeren Titeln ist neben einem mindestens dreijährigen rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalt im Bundesgebiet eine Integration in den deutschen Arbeitsmarkt erforderlich (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG). Der BFH hat dies bereits mehrfach für verfassungsgemäß erachtet.

2. Das BSG hält dagegen die wortgleiche Regelung der Berechtigung von Ausländern zur Inanspruchnahme von Erziehungsgeld (§ 1 Abs. 6 BErzGG) für verfassungswidrig. Es meint, der Gesetzgeber habe entgegen der Vorgabe des BVerfG nicht all jene Ausländer erfasst, denen trotz eines ursprünglich nur als vorübergehend vorgesehenen Aufenthalts eine "günstige" Daueraufenthaltsprognose gestellt werden könne. Der "aktuelle Bezug zum Arbeitsmarkt" sei zwar ein möglicher, jedoch "zu eng begrenzter Faktor".

3. Dieser Beurteilung hat sich der BFH für das Steuerrecht abermals nicht angeschlossen und das vorliegende Verfahren daher nicht bis zur Entscheidung des BVerfG über die Vorlagebeschlüsse des BSG ausgesetzt. Der maßgebliche Unterschied zwischen Erziehungs- und Kindergeld liegt darin, dass das Kindergeld im Gegensatz zum Erziehungsgeld als Einkommen auf Sozialleistungen angerechnet wird. Nicht in den Arbeitsmarkt integrierte Ausländer ohne Anspruch auf Kindergeld erhalten typischerweise Sozialleistungen, deren Höhe sich auch nach der Anzahl der in ihrem Haushalt lebenden Kinder richtet. Da das Kindergeld als Einkommen auf das Kindergeld angerechnet oder an den Sozialleistungsträger erstattet oder abgezweigt würde, brächte eine Ausweitung der Kindergeldberechtigung diesen Ausländern keine finanziellen Vorteile. Durch die Beschränkung der Kindergeldberechtigung entsteht ihnen mithin kein Nachteil, der gegen das allgemeine Gleichheitsgebot verstoßen könnte (Art. 3 Abs. 1 GG).

4. Der bisherige Bezug von Sozialhilfe ist kein Grund, die Erteilung eines Aufenthaltstitels abzulehnen, wenn ein Ausländer mithilfe des Kindergelds sowie seines Erwerbseinkommens den Unterhalt für seine Familie bestreiten kann. Dabei wird auch geprüft, ob nach Erteilung eines bestimmten Titels Kindergeld zu zahlen sein wird (§ 2 Abs. 3 S. 2 AufenthG). Eine Ausweitung der Kindergeldberechtigung würde daher auch nicht die Chancen von Ausländern verbessern, ihren Aufenthaltsstatus zu verbessern.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 28.04.2010 – III R 1/08

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