Leitsatz

1. Setzt ein Kind im Rahmen eines dualen Studiums nach erfolgreichem Abschluss seines studienintegrierten Ausbildungsgangs sein parallel zur Ausbildung betriebenes Bachelorstudium fort, kann auch das Bachelorstudium als Teil einer einheitlichen Erstausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der ab 2012 geltenden Fassung zu werten sein.

2. Für die Frage, ob sich die einzelnen Ausbildungsabschnitte als integrative Teile einer einheitlichen Erstausbildung darstellen, kommt es darauf an, ob sie in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in einem engen zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden.

 

Normenkette

§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b, § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 (in der ab 2012 geltenden Fassung) EStG

 

Sachverhalt

Der Sohn der Klägerin begann nach dem Abitur ein duales Hochschulstudium zum Bachelor im Studiengang Steuerrecht. Parallel dazu absolvierte er in einer Steuerberatungskanzlei eine studienintegrierte praktische Ausbildung zum Steuerfachangestellten, die er am 1.8.2008 begann und im Juni 2011 mit der Prüfung zum Steuerfachangestellten beendete. Im März 2013 legte er das Bachelorexamen ab.

Nach Beendigung seiner Ausbildung zum Steuerfachangestellten arbeitete der Sohn ab 1.8.2011 mehr als 20 Stunden pro Woche in einer anderen Steuerberatungskanzlei und setzte dort seine Ausbildung durch eine studienbegleitende Betreuung fort. Die Entlohnung entsprach der eines Steuerfachangestellten.

Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung ab dem 1.1.2012 auf. Das FG Münster (Urteil vom 15.5.2013, 2 K 2949/12 Kg, Haufe-Index 6205864, EFG 2014, 57) hob den Aufhebungsbescheid und die Einspruchsentscheidung auf.

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision der Familienkasse als unbegründet zurück, weil es sich bei der dualen Ausbildung um eine einheitliche, erst mit dem Bachelor beendete Ausbildungsmaßnahme handelte.

 

Hinweis

1. Das Urteil betrifft die ab 2012 geltende Fassung des § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG. Danach werden Kinder, die einen Berücksichtigungstatbestand (Berufsausbildung, Übergangszeit, Ausbildungsplatzsuche, Freiwilligendienst) erfüllen, nicht mehr erfasst, wenn sie nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Eine Erwerbstätigkeit von bis zu 20 Wochenstunden, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis sind jedoch unschädlich.

2. Der Gesetzgeber hatte den Ausschlusstatbestand in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zunächst so gefasst, dass Kinder "nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung und eines Erststudiums" nicht mehr berücksichtigt werden, und das "und" im Jahr 2013 – rückwirkend ab 1.1.2012 – durch "oder" ersetzt. Der BFH hat die Frage, ob darin eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung liegt, dahinstehen lassen, weil auch das "und" angesichts der Gesetzeshistorie als "oder" zu verstehen sei. Daran sind aber Zweifel angebracht, weil – wie das Urteil ausführt – der Gesetzgeber trotz des Hinweises des Bundesrats auf den "Fehler" beim "und" geblieben ist.

3. Der Begriff des Erststudiums stellt nur einen Unterfall des Oberbegriffes der erstmaligen Berufsausbildung dar; dies leitet der BFH sowohl aus dem üblichen Sprachgebrauch als auch aus den Gesetzesmaterialien her. Der Begriff der Berufsausbildung in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist enger als der in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Dadurch wird die berücksichtigungsschädliche Wirkung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG vermindert: Die Berufsausbildung nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG muss auf einen Abschluss ausgerichtet sein und die notwendigen fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse zur Aufnahme eines Berufs vermitteln. Daher ist weder der Besuch einer allgemein bildenden Schule noch jedwede allgemein berufsqualifizierende Maßnahme eine erstmalige Berufsausbildung.

4. Daraus sowie aus der Funktion des steuerlichen Familienleistungsausgleichs und dem zivilrechtlichen Unterhaltsrecht folgert der BFH, dass mehr­aktige Ausbildungsmaßnahmen als Teil einer einheitlichen Erstausbildung zu qualifizieren sind, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach dem ersten Abschluss fortgesetzt werden soll und das angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann. Die durch ein duales Studium vermittelte Erstausbildung endet daher nicht bereits mit dem berufsqualifizierenden "Zwischenabschluss", z.B. als Steuerfachgehilfe, Bankkaufmann o.Ä., sondern frühestens mit dem "Endabschluss", regelmäßig als Bachelor. Eine mehr als 20-stündige Erwerbstätigkeit in dieser Phase ist daher unschädlich.

5. Offen bleibt, ob durch die Angabe eines noch weitergehenden, qualifizierteren Berufsziels die Erstausbildung auch nach dem Ende des dualen Studiums andauern kann. Z.B.: Endet bei einem Kind mit dem Berufsziel "Steuerberater" die Erstausbildung mit dem am Ende der dualen Ausbildung erreichten Bachelor, dem Master-Abschluss oder e...

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