Das Erfordernis, für den Kindergeldanspruch eine Niederlassungserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzen zu müssen, gilt nicht für Staatsangehörige der EU- bzw. EWR-Staaten oder der Schweiz und ihre Familienangehörigen, soweit ihre Rechtsstellung vom Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern geregelt ist.[1]

[1] DA A 4.2 Abs. 1 und 3 DA-KG 2023.

2.7.3.1 Freizügigkeitsgesetz

Nach § 2 Abs. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU[1] sind gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt u. a. Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer, zur Arbeitssuche oder zur Berufsausbildung in einem anderen EU-Staat aufhalten wollen (freizügigkeitsberechtigte Ausländer). Grundsätzlich ist bei Staatsangehörigen der EU- bzw. EWR-Staaten und der Schweiz von der Freizügigkeitsberechtigung auszugehen.[2] Die Feststellung der fehlenden Freizügigkeit von Unionsbürgern, die den Kindergeldanspruch ausschließen kann, obliegt nur den Ausländerbehörden.[3]

[1] BGBl 2004 I S. 1950, 1986.
[2] DA A 4.2 Abs. 3 Satz 1 DA-KG 2023.

2.7.3.2 Voraussetzungen nach § 62 Abs. 2 EStG

Freizügigkeitsberechtigte Ausländer müssen nicht zusätzlich ein Erfordernis nach § 62 Abs. 2 EStG erfüllen.

Zur Europäischen Union (EU) bzw. zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gehören neben der Bundesrepublik Deutschland folgende Staaten[1]:

Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Kroatien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn und Zypern.[2]

Britische Staatsangehörige, die ihren Wohnsitz bereits vor dem 1.1.2021 in Deutschland oder in einem anderen Mitgliedstaat begründet haben, stehen nach dem Austrittsabkommen einem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger gleich. Wurde der inländische Wohnsitz hingegen erst nach dem 31.12.2020 begründet, müssen die Voraussetzungen von § 62 Abs. 2 EStG erfüllt sein.[3]

Das Erfordernis, einen der in § 62 Abs. 2 EStG genannten Aufenthaltstitel besitzen zu müssen, gilt auch nicht für Arbeitnehmer aus Staaten, mit denen zwischenstaatliche Abkommen bestehen.[4]

Abkommensstaaten sind: Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Marokko, Montenegro, Serbien, Türkei und Tunesien.

Arbeitnehmer sind in diesem Zusammenhang insbesondere

  • Personen in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis einschließlich der Zeiten des Bezugs von Kurzarbeitergeld;
  • Bezieher von Arbeitslosengeld I;
  • Personen, die Geldleistungen der Krankenversicherung wegen vorübergehender Arbeitsunfähigkeit erhalten.

Personen, die lediglich eine geringfügige Beschäftigung ausüben, gelten nicht als Arbeitnehmer im Sinne der Abkommen.[5]

[1]

Zum Kindergeldanspruch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten mit EU-/EWR-Mitgliedstaaten und der Schweiz s. Abschnitt 2.5.

[2] DA A 4.2 Abs. 1 Satz 4 DA-KG 2023.
[3] DA A 4.2 Abs. 2 DA-KG 2023.
[4] DA A 4.5 DA-KG 2023.
[5] DA A 4.5 Abs. 1 Satz 4 DA-KG 2023.

2.7.3.3 Beispielsfälle aus der Rechtsprechung

Ein Staatsbürger des Staates Bosnien und Herzegowina, der sich ausländerrechtlich geduldet mit seinen Kindern im Inland aufhält und eine Rente der Berufsgenossenschaft wegen eines Arbeitsunfalls bezieht, ist kein Arbeitnehmer i. S. d. zwischenstaatlichen Abkommens mit dem früheren Jugoslawien. Er hat daher keinen Anspruch auf Kindergeld.[1]

Aus dem früheren Jugoslawien stammende, geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer, für die der Arbeitgeber pauschale Sozialversicherungsbeiträge abführt, haben keinen Anspruch auf Kindergeld nach dem Abkommen über Soziale Sicherheit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem früheren Jugoslawien.[2]

Für türkische Arbeitnehmer ergibt sich ein Anspruch auf Kindergeld ferner aus dem Beschluss des Assoziationsrates v. 19.9.1980. Für Arbeitnehmer aus Algerien, Marokko und Tunesien ergibt sich der Kindergeldanspruch auch aus den Assoziationsabkommen, die die EG mit diesen Staaten geschlossen hat. Hier ist – im Gegensatz zu den zwischenstaatlichen Abkommen – der Arbeitnehmerbegriff der Verordnung (EWG) 1408/71 anzuwenden. Arbeitnehmer sind danach z. B. Angestellte, Beamte, Rentner, Studenten und (freiwillig weiterversicherte) Selbstständige.

Für türkische Staatsangehörige, die nicht zu diesem Personenkreis gehören, folgt auch aus dem Vorläufigen Europäischen Abkommen über Soziale Sicherheit unter Ausschluss des Systems für den Fall des Alters, der Invalidität und zugunsten der Hinterbliebenen vom 11.12.1953 nach einem 6-monatigen Aufenthalt im Bundesgebiet ein Anspruch auf Kindergeld.[3]

Eine in Deutschland seit mehr als 6 Monaten in Gemeinschaftsunterkünften lebende, nicht erwerbstätige türkische Staatsangehörige ist unabhängig von ihrem ausländerrechtlichen Status kindergeldberechtigt. Der Begriff des Wohnens i. S. d. Art. 2 Abs. 1 Buchst. d des "Vorläufigen Europäischen Abkommens vom 11.12.1953 über Soziale Sicherheit unter Ausschluss der Systeme für den Fall des Alters, der Invalidität und zu Gunsten der Hinterbliebenen" ist damit erfüllt.[4]

Beamte oder Ang...

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