Grundsätzliches[2]

Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG muss das Kind wegen seiner Behinderung außerstande sein, sich selbst zu unterhalten (Ursächlichkeit der Behinderung).

Die Anwendung dieser Vorschrift erfordert 2 Feststellungen, nämlich

  • zum einen, dass das Kind außerstande (nicht in der Lage) ist, sich selbst zu unterhalten, und
  • zum anderen, dass die Behinderung in erheblichem Maß mit die Ursache für das Außerstandesein zum Selbstunterhalt ist.

Außerstandesein zum Selbstunterhalt

Zur Entscheidung, ob das – erwachsene – Kind außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, müssen 2 Rechengrößen[3] ermittelt werden[4], und zwar

  • die Höhe des notwendigen Lebensbedarfs des Kindes[5] (= allgemeiner Lebensbedarf i. H. d. Grundfreibetrags von 10.908 EUR (2023), zuzüglich individuellem behinderungsbedingten Mehraufwand) und
  • die dem Kind zur Bestreitung seines notwendigen Lebensbedarfs zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel.[6] Die kindeseigenen Mittel errechnen sich aus

    • dem verfügbaren Einkommen[7] und
    • Leistungen Dritter, insbesondere für den behinderungsbedingten Mehraufwand. Das Vermögen des Kindes gehört nicht zu den anzurechnenden finanziellen Mitteln.[8]

Übersteigt der Betrag des notwendigen Lebensbedarfs die Summe der finanziellen Mittel des Kindes (= Unterdeckung), ist das Kind außerstande, sich selbst zu unterhalten. Übersteigt die Summe der finanziellen Mittel des Kindes den Betrag des gesamten Lebensbedarfs (Überdeckung), ist das Kind nicht außerstande, sondern imstande, sich selbst zu unterhalten. Somit ist es nicht nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG zu berücksichtigen.[9]

Falls die kindeseigenen Mittel den notwendigen Lebensbedarf überschreiten und ungleichmäßig zufließen, ist zu prüfen, ab welchem Monat das Kind imstande ist, sich selbst zu unterhalten (Anwendung des Monatsprinzips).[10] Bei gleichbleibenden monatlichen Einnahmen und einem monatlich gleichbleibenden behinderungsbedingten Mehraufwand während des gesamten Kalenderjahres führt die Jahresberechnung jedoch zu demselben Ergebnis wie eine Monatsberechnung. Aus Vereinfachungsgründen ist deshalb eine Monatsberechnung nur dann durchzuführen, wenn ein außerordentlicher Sonderbedarf gegeben ist bzw. unregelmäßig anfallende Einnahmen (z. B. Urlaubs- oder Weihnachtsgeld) zugeflossen sind. Monatlich wiederkehrende Einkünfte und Bezüge sind nach dem Zuflussprinzip[11] zu erfassen. Kurze Zeit vor Beginn oder kurze Zeit nach Beendigung des Kalendermonats zugeflossene Beträge sind daher im bestimmungsgemäßen Monat zu erfassen.[12]

Jährlich anfallende Einnahmen sind auf den Zuflussmonat und die nachfolgenden 11 Monate zu verteilen.[13] Eine für einen vergangenen Zeitraum geleistete Nachzahlung von Arbeitslosengeld II ist als Bezug des behinderten Kindes zu berücksichtigen und auf den Zuflussmonat und die restlichen Monate des Zuflussjahres zu verteilen.[14]

Behinderungsbedingter Sonderbedarf, der nicht jeden Monat anfällt, ist nicht ausschließlich dem Monat zuzuordnen, in dem die Kosten angefallen sind.[15]

Soweit in diesen Monaten die finanziellen Mittel höher sind als der Betrag des Lebensbedarfs, ist das volljährige Kind in diesen Monaten nicht außerstande, sich selbst zu unterhalten. Demzufolge besteht für diese Monate kein Kindergeldanspruch. Allerdings ist der Monat der Änderung der Verhältnisse ggf. wie ein Teilmonat zu behandeln, für den dann Kindergeldanspruch besteht.[16]

Das Elterngeld, das ein behindertes Kind wegen der Betreuung und Erziehung seines eigenen Kindes erhält, gehört in vollem Umfang zu den Bezügen, die zur Bestreitung des Grundbedarfs des behinderten Kindes geeignet sind.[17] Die Schmerzensgeldrente, die ein behindertes Kind bezieht, ist nicht als Bezug zur Bestreitung des Grundbedarfs anzusetzen.[18] Die "Contergan-Rente" eines volljährigen behinderten Kindes ist ebenfalls nicht als Bezug zu berücksichtigen, mit dem der allgemeine Lebensbedarf zu bestreiten ist.[19]

Eine nach § 1 des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) an das Kind gezahlte Rente gehört nicht zu seinen einzusetzenden finanziellen Mitteln.[20]

Allein aus dem Umstand, dass der Sozialleistungsträger den dem Grunde nach Kindergeldberechtigten auf Zahlung eines Unterhaltsbetrags für das Kind in Anspruch nimmt, ist nicht abzuleiten, dass das Kind zum Selbstunterhalt außerstande ist. Auch in diesem Fall ist die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt mittels einer Vergleichsrechnung festzustellen.[21]

Ein Kind, das an einer psychischen Erkrankung leidet, deretwegen ein GdB von 80 mit dem Merkmal "H" festgestellt ist, und das wegen im Zustand der Schuldunfähigkeit begangener rechtswidriger Taten (einstweilen) in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht ist, ist gerade wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande, sich selbst zu unterhalten.[22]

Vereinfachte Berechnung:

Übersteigen die kindeseigenen Mittel (= verfügbares Nettoeinkommen[23] des Kindes mit Behinderung und die Leistungen Dritter) nicht den Betrag des allgemeinen Lebensbedarfs (= Grundfreibetrag), ...

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