Leitsatz

Die Verlegung des Betriebs eines selbstständigen Erfinders in das Ausland (hier: nach Belgien) führt auch dann nicht zur Annahme einer (fiktiven) Betriebsaufgabe, wenn die künftigen Gewinne der ausländischen festen Einrichtung (Betriebsstätte) im Inland nicht steuerbar oder aufgrund eines DBA von der Besteuerung im Inland freigestellt sind (Änderung der Rechtsprechung: Aufgabe der sog. Theorie der finalen Betriebsaufgabe).

 

Normenkette

§ 16 Abs. 3 S. 1, § 18 Abs. 3, § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1990, § 4 Abs. 1 S. 3 EStG 2002 i.d.F. des SEStEG; Art. 7, Art. 13 Abs. 2, Art. 14 Abs. 1 DBA-Belgien

 

Sachverhalt

Der Kläger erzielte Einkünfte aus selbstständiger Arbeit als Erfinder. Seinen diesbezüglichen Gewinn ermittelte er durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung.

Im August 1995 verlegte er seinen Wohnsitz nach Belgien, von wo aus er sein Einzelunternehmen unverändert weiterführte; in späteren Jahren verzog er von dort aus weiter in die Schweiz. Das FA war der Auffassung, der Umzug des Klägers nach Belgien habe zu einer Aufgabe des Einzelunternehmens geführt. Dementsprechend legte er der ESt-Festsetzung für das Streitjahr einen steuerbegünstigten Betriebsaufgabegewinn zugrunde. Zusätzlich setzte das FA im Hinblick auf den Wechsel der Gewinnermittlungsart einen Übergangsgewinn an.

Die deswegen erhobene Klage hatte Erfolg. Nach Auffassung des FG verstößt die Besteuerung des Aufgabe- und des Übergangsgewinns gegen die im EU-Vertrag verbürgte Niederlassungsfreiheit (FG Köln, Urteil vom 18.03.2008, 1 K 4110/04, Haufe-Index 2084767, EFG 2009, 259).

 

Entscheidung

Der BFH hat sich dem im Ergebnis angeschlossen.

Er hat zu den Fragen eines potenziellen Gemeinschaftsrechtsverstoßes aber nichts weiter gesagt, sondern sich der "finalen Betriebsaufgabe" in grenzüberschreitenden Zusammenhängen insgesamt angenommen: Diese sei in derartigen Zusammenhängen letztlich ohne Rechtsgrundlage; das Abkommensrecht ermögliche sehr wohl eine veranlassungsbedingte Teilhabe des Wegzugsstaats an dem (späteren) realen Aufgabegewinn, und diese Teilhabe lasse sich im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht auch umsetzen. Für eine Sofortbesteuerung bestehe deswegen kein Raum, der die analoge Anwendung von § 18 Abs. 3, § 16 Abs. 3 EStG rechtfertigen könne.

 

Hinweis

Es handelt sich um ein Grundsatzurteil des BFH mit einer (weiteren) Kehrtwende der Spruchpraxis zur sog. Steuerentstrickung: Wurde erst kürzlich die sog. Theorie der finalen Entnahme seitens des BFH "entsorgt" (BFH, Urteil vom 17.07.2008, I R 77/06, BFH/NV 2008, 1941, BFH/PR 2008, 499), so ist es jetzt die parallel laufende sog. Theorie der finalen Betriebsaufgabe.

1. Diese Theorie der finalen Betriebsaufgabe besagt, dass der (gewerbliche oder freiberufliche) Unternehmer, der seinen bisher im Inland ansässigen Betrieb in einen ausländischen Staat verlegt und von dort aus fortführt, die im Betriebsvermögen angesammelten stillen Reserven – wie bei einer "echten" Betriebsaufgabe – sofort aufdecken und versteuern müssen (vgl. § 16 Abs. 3, § 18 Abs. 3 EStG). Das, obschon eine explizite Willensbekundung, den Betrieb aufgeben zu wollen, fehlt; die Betriebsaufgabe wird danach also gewissermaßen als fiktiv unterstellt, um den Besteuerungszugriff zu ermöglichen.

Eine solche "Entstrickung" hat der BFH (extra legem) in der Vergangenheit in verschiedenen Konstellationen angenommen, beispielsweise dann, wenn für die Besitzgesellschaft die Voraussetzungen für eine Betriebsaufspaltung entfallen oder ein Gewerbebetrieb in einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb "aufgeht", aber auch bei der beschriebenen Betriebsverlegung in das Ausland. Der BFH hat das nunmehr für den letzteren Fall jedoch verneint. Der Kläger – ein selbstständiger Erfinder – konnte sein Unternehmen deshalb "steuerneutral" nach Belgien verlegen.

2. Der BFH vermisst in jener Situation eine Notwendigkeit und damit zugleich eine Rechtsgrundlage für eine Sofortbesteuerung:

Eine solche Notwendigkeit setzt nämlich voraus, dass der deutsche Besteuerungszugriff auf die stillen Reserven des wegziehenden Betriebs endgültig verloren geht. So liegt es nach Lage der Dinge hier aber nicht:

Falls der Unternehmer den Betrieb später einmal verkauft oder aufgibt, unterliegen die dadurch "realisierten" stillen Reserven, soweit sie in Deutschland erwirtschaftet worden sind, aufgrund des nachwirkenden Veranlassungszusammenhangs weiterhin und fortlaufend der inländischen beschränkten Steuerpflicht (nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a oder Nr. 3 EStG).

Das gilt, so der BFH, auch dann, wenn – wie meist der Fall – der Gewinn aus dem in das Ausland verlegten Betrieb aufgrund eines DBA mit dem Zuzugsstaat von der inländischen Besteuerung freigestellt ist und wenn der Unternehmer auch seinen Wohnsitz in das Ausland verlegt hat. Dann gehört das Betriebsvermögen zwar zu einer Betriebsstätte in dem anderen Vertragsstaat als Zuzugsstaat, und das Besteuerungsrecht für Gewinne aus der Veräußerung derartigen Betriebstättenvermögens gebührt diesem Staat und ist im Wegzugsstaat deswegen au...

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