Leitsatz

1. Der sog. Sanierungserlass des BMF vom 27. März 2003 (BStBl I 2003, 240; ergänzt durch das BMF-Schreiben vom 22. Dezember 2009, BStBl I 2010, 18) verstößt gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Anschluss an den Beschluss des Großen Senats des BFH vom 28. November 2016, GrS 1/15, BFHE 255, 482, BStBl II 2017, 393).

2. Die im BMF-Schreiben vom 27. April 2017 (BStBl I 2017, 741) vorgesehene Anwendung des sog. Sanierungserlasses auf alle Fälle, in denen der Forderungsverzicht der an der Sanierung beteiligten Gläubiger bis zum 8. Februar 2017 endgültig vollzogen worden ist (Altfälle), ist ebenfalls nicht mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung vereinbar.

 

Normenkette

§ 163, § 227 AO, Art. 80 GG, § 3a, § 52 Abs. 4a EStG i.d.F. des Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen

 

Sachverhalt

In einer wirtschaftlichen Krise der klagenden GmbH kam es zu Forderungsverzichten von (ehemaligen) Gesellschaftern. Die Klägerin wies insoweit außerordentliche Erträge aus, beantragte aber unter Hinweis auf den sog. Sanierungserlass den Erlass der auf den Verzichten beruhenden Körperschaftsteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen (§ 227 AO). Das FA lehnte den Antrag ab, weil es an der nach dem Sanierungserlass erforderlichen Sanierungsabsicht gefehlt habe. Die Verzichte seien in erster Linie durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst gewesen.

Die dagegen erhobene Klage hatte im ersten Rechtsgang teilweise Erfolg. Auf Rechtsmittel der Klägerin gegen den klageabweisenden Teil der Entscheidung wurde das FG-Urteil insoweit aufgehoben (inzwischen war Rechtskraft des stattgebenden Teils eingetreten) und die Sache an das FG zurückverwiesen. Das FG gab später der Klage auch in jenem Teil statt (FG Münster, Urteil vom 22.5.2013, 10 K 2866/12 K, Haufe-Index 7560206).

 

Entscheidung

Der BFH hob das Urteil des FG auf und wies die Klage ab.

 

Hinweis

1. Es geht um den sog. Sanierungserlass. Dass er (ungeachtet der sicherlich erwünschten Belastungsmilderung in der wirtschaftlichen Krise eines Unternehmens) einen verfassungsrechtlichen Belastungstest nicht bestanden hat, ist Allgemeingut (s. Leitsatz 1). Die gesetzgeberische Nachbesserung ließ nicht lange auf sich warten (§ 3a EStG i.d.F. des Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen vom 27.6.2017, BGBl. I 2017, 2074), harrt aber für ihr Inkrafttreten noch auf einen "Placet aus Brüssel". Denn nach Art. 6 Abs. 2 dieses Gesetzes tritt die Regelung (erst) "an dem Tag in Kraft, an dem die Europäische Kommission durch Beschluss feststellt, dass die Regelungen … entweder keine staatlichen Beihilfen im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des … (AEUV) oder mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfen darstellen".

Im Übrigen ist der zeitliche Anwendungsbereich der Regelung auf "Neufälle" beschränkt – es geht nach § 52 Abs. 4a Satz 1 EStG i.d.F. dieses Gesetzes (nur) um Fälle, "in denen Schulden ganz oder teilweise nach dem 8. Februar 2017 erlassen wurden". (mit Modifizierung in Satz 2; der Stichtag 8.2.2017 bezieht sich auf das Bekanntwerden der Entscheidung des Großen Senats des BFH).

2. Für "Altfälle" sah der Gesetzgeber keine Übergangsregelung vor; vielmehr konnte man schon im Gesetzgebungsverfahren auf ein BMF-Schreiben vom 27.4.2017 verweisen (s. Leitsatz 2), das einen Vertrauensschutz gewährleisten sollte. Dabei könnte auch eine Rolle gespielt haben, dass man die "Altfälle" nicht mit dem "Beihilfeverdacht" belasten wollte.

3. Jedenfalls legt der I. Senat in seiner Rechtsprüfung der ministeriellen Übergangsregelung denselben Maßstab an wie vormals der Große Senat und sieht sich insoweit für den Streitfall wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung als nicht gebunden an.

4. Damit ist allerdings auch der anhängige Rechtsstreit zum Nachteil der eine Minderung der Körperschaftsteuer begehrenden Klägerin (es lagen außerordentliche Erträge nach Forderungsverzichten vor) entschieden. Denn die Klägerin hatte ihren Antrag nicht mit persönlichen oder einzelfallbezogenen sachlichen Unbilligkeitsgründen begründet, sondern sich ausschließlich auf den "Sanierungserlass" gestützt.

5. Der X. Senat des BFH hat (ebenfalls) entschieden (BFH, Urteil vom 23.8.2017, X R 38/15, BFH/NV 2017, 1669), dass dem BMF-Schreiben vom 27.4.2017 eine Rechtsgrundlage fehlt, sodass das Schreiben im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens nicht beachtet werden dürfe.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 23.8.2017 – I R 52/14

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