Leitsatz

Aus individuellen Besonderheiten der jeweiligen Geschäftsbeziehung kann sich grundsätzlich eine Steigerung der Sorgfaltspflichten bei innergemeinschaftlichen Umsätzen ergeben. Das Hessische FG schützt aber Partner von Scheinfirmen vor einem branchenspezifischen Pauschalverdacht. In seinem Beschluss zur Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung stellt es klar, dass die Aberkennung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer alleinnicht den Schluss zulasse, der Geschäftspartner sei im Zeitpunkt der Lieferung kein am Wirtschaftsleben tatsächlich teilnehmendes Unternehmen gewesen.

 

Sachverhalt

Im Urteilsfall lieferte ein Unternehmer 25 Mobiltelefone an eine englische Firma A. 21 Lieferungen erfolgten von Deutschland nach England, vier Telefone wurden in London eingekauft und auf Wunsch des Käufers nach Hongkong transportiert. Die Steuerfahndung stellte im Rahmen einer Prüfung fest, dass es sich bei der englischen Firma um eine Scheinfirma handele. Die Firma A sei ein "missing trader" und nehme nicht aktiv am Wirtschaftleben teil. Das deutsche Unternehmen verwies in seinem Antrag auf zahlreiche Kontakte zur Firma A über Telefon und Fax. Die Ware sei durch einen deutschen Spediteur zu einem englischen Flughafen transportiert worden, wo sie vom Abnehmer inspiziert worden sei. Die Freigabe der Ware sei nach Kaufpreiszahlung erfolgt. Vor der ersten Lieferung hat das Bundesamt für Finanzen, Außenstelle Saarlouis, die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der Firma A bestätigt. Ferner hat das Department of Trade and Industry auf Anfrage der deutschen Firma Sitzadresse, Registernummer und Rechtsform bestätigt. Eine nachträgliche Überprüfung ergab, dass mit Gerichtsbeschluss vom 17.4.2000 ein Insolvenzverfahren gegen die englische Firma eingeleitet worden ist. Nach erneuter Auskunft des Bundesamtes für Finanzen war die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer vom 4.1.1999 bis zum 1.10.1999 gültig. Der Belegnachweis wurde durch Vorlage der Rechnungsdoppel, der Frachtbriefe und Ausfuhrbescheinigungen geführt. Einem Aktenvermerk des Finanzamtes vom 6.9.1999 zufolge sind trotz 3er Umsatzsteuer-Sonderprüfungen und intensiver Bemühungen keine Beweise für Scheingeschäfte erbracht worden. Die Buch- und Belegnachweise seien formell einwandfrei gewesen. Das Finanzamt unterwarf die innergemeinschaftlichen Lieferungen im Inland der Steuerpflicht und lehnte die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung ab. Bei der Firma A handele es sich um eine Scheinfirma. Aufgrund der seit Jahren in der Branche bekannten betrügerischen Missbrauchsfällen könne sich der deutsche Unternehmer nicht auf die Vertrauensvorschrift des § 6a Absatz 4 UStG berufen. Der deutsche Unternehmer begehrte die Steuerfreiheit für die Lieferungen nach England und machte geltend, dass Lieferungen der in England gekauften und nach Hongkong gelieferten Telefone in Deutschland nicht steuerbar seien.

 

Entscheidung

Das Hessische FG gibt dem Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung statt, da nach summarischer Prüfung eine Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte nicht ausgeschlossen werden kann. Aufgrund der vorläufigen Natur des Aussetzungsverfahrens gelte das Gebot der Sachverhaltserforschung von Amts wegen nur eingeschränkt. Der Entscheidung seien nur solche Tatsachen zugrunde zu legen, die sich aus dem angefochtenen Verwaltungsakt oder dem glaubhaft gemachten Vortrag der Beteiligten ergeben. Die 21 Lieferungen von Mobiltelefonen nach England unterliegen als innergemeinschaftliche Lieferungen der Steuerbefreiung nach § 6a UStG, wenn die erforderlichen Nachweise als erbracht gelten. Die von der Finanzverwaltung dargelegten Tatsachen reichen - nach Ansicht des FG - zum Nachweis, dass es sich bei der englischen Firma A zweifelsfrei um einen Scheinunternehmer handelt, nicht aus. Späteren Auskünften der englischen Steuerbehörden zufolge wurde der englischen Firma mit Wirkung vom 1.10.1999 die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer aberkannt. Für den Zeitraum der Ausführung der Leistungen besagt diese Aussage laut FG nichts. Auch könne die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Firma A ursächlich für die Aberkennung gewesen sein. Da die Steuerfreiheit für innergemeinschaftliche Lieferungen auch bei Lieferungen an juristische Personen, die keine Unternehmer sind, greifen kann, käme es im Urteilsfall möglicherweise auf die Unternehmereigenschaft der Firma A nicht an. Der Erwerb der Telefone unterlag nach Auffassung des FG in Großbritannien der Erwerbsbesteuerung. Ferner könne sich der deutsche Unternehmer auf den Vertrauensschutz des § 6a Absatz 4 UStG berufen. Für eine Verletzung dieser Sorgfalt habe das Finanzamt lediglich vorgetragen, dass sich eine erhöhte Erkundigungspflicht aus den seit Jahren in der Branche des Unternehmens bekannten betrügerischen Missbrauchsfällen ergebe. Nach Rechtsauffassung des FG enthält das UStG keinen Ausschluss der Vertrauensschutzregelung für bestimmte Branchen. Ein ganze Branchen ausschließender Pauschalverdacht sei dahe...

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