Rz. 72

Für die Aktivierung der aus der Entwicklung entstehenden immateriellen Vermögenswerte müssen die in IAS 38.57 genannten Bedingungen kumulativ erfüllt sein. Diese Aktivierungsvoraussetzungen enthalten die in Abbildung 9 wiedergegebenen Schätzungen:

 

Abb. 9: Dimensionen der Schätzung beim Ansatz selbst geschaffener immaterieller Vermögenswerte

Neben den in Abb. 9 aufgeführten Schätzungen ist eine weitere Voraussetzung zur Aktivierung der Ausgaben für den selbst erstellten immateriellen Vermögenswert die Absicht des Managements, den aus der Entwicklungsphase stammenden immateriellen Vermögenswert fertigzustellen.[1]

 

Rz. 73

Zur technischen Dimension gehören die Realisierbarkeit des zu entwickelnden immateriellen Vermögenswertes (objektive Komponente) sowie die technische Fähigkeit des Unternehmens, den immateriellen Vermögenswert zur Nutzung oder zum Verkauf zu erstellen (subjektive Komponente). Die wirtschaftliche Dimension schließt die finanzielle Fähigkeit des Unternehmens, den immateriellen Vermögenswert zur Nutzung oder zum Verkauf zu erstellen (subjektive Komponente), sowie den voraussichtlichen künftigen ökonomischen Nutzen des erstellten immateriellen Vermögenswertes (objektive und subjektive Komponente) ein. Die Beurteilung der finanziellen Fähigkeit des Unternehmens, den immateriellen Vermögenswert zur Nutzung oder zum Verkauf zu erstellen, setzt eine Prognose der für die Entwicklung voraussichtlich anfallenden Ausgaben bis zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Vermögenswertes sowie der übrigen innerhalb dieses Zeitraums zu erwartenden Ein- und Auszahlungen des Unternehmens einschließlich seiner Kreditpotenziale voraus. Zum stringenten Nachweis der finanziellen Fähigkeit des Unternehmens den immateriellen Vermögenswert entwickeln zu können, ist bis zum Zeitpunkt des Abschlusses der Entwicklungstätigkeiten ein Finanzplan aufzustellen. Der ökonomische Nutzen eines Vermögenswertes bemisst sich – in Abhängigkeit seiner Verwendungsart – entweder durch den beizulegenden Zeitwert abzüglich Verkaufskosten oder den Nutzungswert.[2] Während der beizulegende Zeitwert abzüglich Verkaufskosten eine zeitpunktbezogene Schätzung bildet, prognostiziert man zur Ermittlung des Nutzungswerts die diskontierten Cashflows aus der fortgesetzten Nutzung des immateriellen Vermögenswerts zur Einnahmenerzielung.[3] Nur bei Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen des IAS 38.57, zwischen denen jedoch eine gewisse Interdependenz besteht,[4] ist eine Aktivierung der Ausgaben für die Entwicklung des immateriellen Vermögenswerts möglich und zugleich zwingend erforderlich. Liegt eine dieser Voraussetzungen nicht vor, dann müssen die Ausgaben für den immateriellen Vermögenswert als Aufwand verrechnet werden. Im Extremfall kann das Unternehmen in Abhängigkeit davon, dass es die Aktivierungsvoraussetzungen nachweist, entscheiden, ob es die Entwicklungskosten aktiviert oder nicht.[5]

 

Rz. 74

Im Vergleich hierzu hat der nach der HGB-Rechnungslegung Bilanzierende selbst bei Ausübung des Aktivierungswahlrechts für selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände nach § 248 Abs. 2 Satz 1 HGB nicht zwingend die nach IAS 38.57 erforderlichen Einschätzungen und Beurteilungen vorzunehmen.[6] Entscheidend ist vielmehr, dass mit hinreichender Sicherheit aus der Entwicklung ein immaterielles Gut hervorgeht, welches die Voraussetzungen eines Vermögensgegenstands im Sinne der GoB erfüllt.[7] Dennoch tauchen die in IAS 38.57 aufgeführten Kriterien in § 255 Abs. 2a Satz 3 HGB in rudimentärer Form auf, sodass in einer kontrastierenden Betrachtung sich die Forschung danach als die Phase definieren lässt, in der grundsätzlich noch keine Aussagen über die technische Verwertbarkeit und die wirtschaftlichen Erfolgsaussichten gemacht werden können.[8] Dementsprechend können – trotz fehlender formaler Kodifizierung im deutschen Handelsrecht – auch die Einschätzungen und Absichten, welche in der internationalen Rechnungslegung mit der Aktivierung selbst geschaffener immaterieller Vermögenswerte verbunden sind, bei Heranziehung der internationalen Rechnungslegungsnormen zur Auslegung der deutschen handelsrechtlichen Vorschriften[9] auch in die Bilanzierung nach HGB einfließen.

[1] Vgl. IAS 38.57(b).
[2] IAS 38.57(d) i. V. m. IAS 38.60 verweist für die Ermittlung des ökonomischen Nutzens auf die Grundsätze, welche für das asset impairment gelten.
[3] Vgl. hinsichtlich der zu prognostizierenden Größen auch Rz. 85 f.
[4] Vgl. Küting, Bilanzierung und Bilanzanalyse am Neuen Markt, 2001, S. 140.
[5] Vgl. Fuchs, Jahresabschlusspolitik und International Accounting Standards, 1997, S. 130. Schildbach spricht in diesem Zusammenhang von einem Nachweiswahlrecht; vgl. Schildbach, BFuP 2002, S. 265.
[6] Vgl. BMJ, Referentenentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz) v. 8.11.2007, S. 122.
[7] Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzen, 15. Aufl. 2019, S. 169; Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, 26. Aufl....

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