Rz. 1

Die Jahresabschlusspolitik hat allgemein die Aufgabe, das "Rohmaterial" eines Jahresabschlusses im Rahmen der rechtlich zulässigen Möglichkeiten durch geeignete Bilanzierungs-, Bewertungs- und Ausweismaßnahmen[1] so aufzubereiten, dass die vom Unternehmen bzw. Konzern gewünschten oder beabsichtigten Schlussfolgerungen möglichst durch die Jahresabschlussanalysten, z. B. Kreditinstitute, Investmentanalysten, Ratingagenturen, gezogen werden.[2] Die vom Unternehmen bzw. Konzern gewünschten oder beabsichtigten Schlussfolgerungen können dabei sowohl die Darstellung eines den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bildes der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage als auch die gezielte Darstellung eines besseren bzw. schlechteren Bildes im Vergleich zu den tatsächlichen Verhältnissen einschließen. Demgegenüber erstrebt die Jahresabschlussanalyse die zur Erzielung bestimmter vom Unternehmen erwünschter Schlussfolgerungen getroffenen Bilanzierungs-, Bewertungs- und Ausweisalternativen zu entlarven, um das "ungeschönte Rohmaterial" und damit ein möglichst getreues Bild des analysierten Unternehmens bzw. Konzerns zu erhalten. Dementsprechend sind Jahresabschlusspolitik und Jahresabschlussanalyse stets 2 Facetten der Bilanzierungs-, Bewertungs- und Ausweisvorschriften eines Jahresabschlusses. Die Möglichkeiten der Jahresabschlusspolitik wirken sich auf die Gestaltung des zu analysierenden Jahresabschlusses aus, der anschließend zur Erkenntnisgewinnung vom externen Analysten herangezogen wird. Somit handelt es sich um einen permanenten Wettstreit zwischen der Jahresabschlusspolitik auf der einen Seite und der Jahresabschlussanalyse auf der anderen Seite. Dennoch gehören beide Elemente untrennbar zusammen, da die Jahresabschlusspolitik in ihre Überlegungen die potenziellen Schlussfolgerungen der Jahresabschlussanalyse einbeziehen wird. Umgekehrt wird derjenige, der einen Jahresabschluss analysiert, die Möglichkeiten der Jahresabschlusspolitik berücksichtigen und versuchen, diese durch geeignete Korrekturmaßnahmen zu bereinigen.

Aus diesem Grund wird im Rahmen dieses Beitrags auch untersucht, ob und inwieweit die Ausübung von Wahlrechten in einer bestimmten Richtung vom Analysten erkannt und weiterhin (so) korrigiert werden kann, dass die Auswirkungen auf Bilanz und Ergebnisrechnung im Falle der alternativ möglichen Bilanzierung und Bewertung qualitativ und quantitativ darstellbar sind.

 

Rz. 2

Die Bilanzpolitik ist das bedeutendste Element der Jahresabschlusspolitik, da sie die Aufgabe hat, die Bilanz und (damit zusammenhängend) auch mittelbar die Gesamtergebnisrechnung (GuV-Rechnung und sonstiges Gesamtergebnis), einschließlich der GuV-Rechnung als Bestandteil der Gesamtergebnisrechnung,[3] durch entsprechende Bilanzierungs-, Bewertungs- und Ausweiswahlrechte zu gestalten. Demgegenüber schließt die Jahresabschlusspolitik über die Bilanzpolitik hinausgehend auch die Gestaltung und Aufbereitung von Informationen in der Kapitalflussrechnung, Eigenkapitalveränderungsrechnung und im Anhang (insbesondere Aufgabe von Geschäftsbereichen und Segmentberichterstattung) ein.

 

Rz. 3

Die Bilanzpolitik nach HGB konzentriert sich fast ausschließlich auf die im HGB geregelten Bilanzierungs-, Bewertungs- und Ausweiswahlrechte. Die in § 264 Abs. 2 HGB formulierte Generalnorm des HGB, wonach der Abschluss unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zu vermitteln hat, legt zumindest nach h. M. im Schrifttum insbesondere aufgrund des Bezugs auf die "Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung" dem Abschlussersteller keine wesentlichen Beschränkungen hinsichtlich der Ausübung der auf Ebene der Einzelnormen gewährten Wahlrechte auf.[4]

Demgegenüber besitzt aufgrund der Dominanz der Informationsfunktion in der IFRS-Rechnungslegung[5]

die entsprechende in IAS 1.15 Satz 1 formulierte Generalnorm für den IFRS-Abschluss[6] eine deutlich dominierendere Funktion für die Ausgestaltung des IFRS-Abschlusses. Obwohl es sich bei dieser Generalnorm eher um einen programmatischen Auftrag der IFRS-Abschlüsse handeln dürfte,[7] steht die Generalnorm in der IFRS-Rechnungslegung nicht unter dem (unmittelbaren) Vorbehalt von Einzelvorschriften und zudem normiert IAS 1.19 f. in äußerst seltenen Fällen ein Abweichungsgebot von als irreführend angesehenen Anforderungen, die zu einem Konflikt mit dem Zweck des Rahmenkonzepts führen würden.[8] Dennoch vermutet IAS 1.15 Satz 2, dass die Beachtung der Einzelvorschriften der IFRS zur Darstellung eines den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bildes der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage führt. Dies schließt grundsätzlich – ebenso wie nach HGB – die in den einzelnen IFRS enthaltenen Bilanzierungs-, Bewertungs- und Ausweiswahlrechte ein.[9]

Im Unterschied zu den vorausgehenden Fassungen (Conceptual Framework (2010) bzw. IAS-Framework (1989) enthält das aktuelle Conceptual Framework (2018) im Abschnitt Zwecksetzung...

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