1.1 Sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich

Den Hauptfall einer Überführung von Wirtschaftsgütern findet man in der Praxis bei

  • der Lieferung sowohl von Wirtschaftsgütern des Anlage- als auch des Umlaufvermögens zwischen einem inländischen Stammhaus an eine ausländische Betriebsstätte,
  • einer vergleichbaren Lieferung von einer inländischen Betriebsstätte an das ausländische Mutterunternehmen oder auch zwischen Betriebsstätten eines Unternehmens in verschiedenen Staaten. Insoweit handelt es sich um einen Tatbestand der Betriebsstättenbesteuerung, d. h. der Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus (dem Mutterunternehmen) und einer Betriebsstätte in einem anderen Staat.

Die Besteuerungsgrundsätze ergeben sich aus dem jeweiligen DBA, z. B. Art. 5 und 7 des OECD-Musterabkommens (OECD-MA) sowie dem nationalen Recht (§ 4 EStG/§ 12 KStG/§ 1 AStG)[1].

Es stellt sich daher vorab die Frage, ob der deutsche Gesetzgeber neben den DBA nationale Grundsätze der Steuerentstrickung entwickeln kann oder ob er dadurch gegen DBA verstößt.

[1]

Zu den allgemeinen Grundsätzen der Betriebsstättenbesteuerung vgl. den Beitrag Grenzüberschreitende gewerbliche Tätigkeit – Betriebsstättenbesteuerung.

1.2 Verhältnis zu den Doppelbesteuerungsabkommen

Hierbei muss unterschieden werden, ob die interne Leistung (die Überführung eines Wirtschaftsguts) ein DBA betrifft, das bereits dem OECD-MA 2010 entspricht (dem sog. "AOA-Konzept") oder ob es sich um ein älteres DBA handelt oder der andere Vertragspartner (z. B. im Entwicklungsland) dem Konzept nicht folgt.

1.2.1 "Alt-DBA" mit eingeschränktem Fremdvergleichsgrundsatz

Bei der Überführung von Waren oder anderen Wirtschaftsgütern im internen Leistungsaustausch zwischen Stammhaus und Betriebsstätte oder umgekehrt stellt sich die Frage, ob eine Gewinnrealisierung erst beim Weiterverkauf an fremde Dritte oder bereits bei der internen Transaktion möglich ist und insoweit der nationale Gesetzgeber an internationale Vorgaben gebunden ist. Der OECD-MA[2] verweist darauf, dass eine Besteuerung nach Art. 7 des OECD-MA für die Gewinne, die bei einer derartigen reinen Innen-Transaktion als entstanden gelten, grundsätzlich möglich ist. Hinsichtlich des Zeitpunkts der Gewinnrealisation weist der amtliche OECD-Kommentar darauf hin, dass grundsätzlich eine Gewinnrealisation für das Gesamtunternehmen erst zum Zeitpunkt des Außengeschäfts entsteht, dass es gleichwohl aber auch möglich ist, dass die einzelnen Staaten die Besteuerung bereits zum Zeitpunkt der Überführung in den anderen Betriebsteil vornehmen.

Maßgebend ist damit das interne Steuerrecht des jeweiligen Überführungsstaates.

[1] Sog. "relavant business activity"-Ansatz nach OECD-MA a.  F.
[2] Ziff. 15, 16 zu Art. 7.

1.2.2 "Neu-DBA" mit uneingeschränktem Fremdvergleichsgrundsatz

Auf Basis der Neufassung des OECD-MA 2010 hat Deutschland mit verschiedenen Staaten wie den USA (bereits Protokoll 2008), Liechtenstein, Niederlande (Fassung 2016), Großbritannien (Fassung 2016) den sog. "AOA-Ansatz der OECD" vereinbart, der – vereinfachend dargestellt – Innentransaktionen zwischen Betriebsstätten nach Verrechnungspreisgrundsätzen abwickelt und somit bereits auf Ebene der DBA eine Gewinnabgrenzung zum Fremdpreis vornimmt. Ab diesem Zeitpunkt versucht Deutschland den Ansatz in neuen bzw. Revisionsabkommen durchzusetzen. Während dies im Verhältnis zu Industriestaaten grundsätzlich erfolgt (Ausnahme DBA Finnland 2018) lehnen die Schwellen- und Enwicklungsländer dies regelmäßig ab. Die innerstaatliche Umsetzung in Deutschland erfolgt durch § 1 Abs. 5 AStG 2013. Die Überführung von Wirtschaftsgütern in eine ausländische Betriebsstätte fällt zwar vom Wortlaut als fiktiver Geschäftsvorfall unter § 1 AStG. Aufgrund der "Lückenfüller-Funktion" des § 1 AStG, d. h. dem Vorrang anderer Einkunftskorrekturvorschriften, geht jedoch die Finanzverwaltung von einem weiter bestehenden Vorrang der Entstrickungsregelungen aus.

[1]

§ 1 Abs. 5 AStG greift daher vorrangig im Bereich der fiktiven Dienstleistungen und der temporären Nutzungsüberlassungen.

[1] BMF, Schreiben v. 22.12.2016, IV B 5 – S 1341/12/10001 – 03, BStBl I 2017 S. 182 (Verwaltungsgrundsätze-Betriebsstättengewinnaufteilung), Tz. 20.

1.3 Verhältnis zu den EU-Grundfreiheiten

Der EuGH hatte mit Urteil v. 29.11.2011[1] entschieden, dass die Sofortbesteuerung der niederländischen Wegzugsbesteuerung gegen Unionsrecht verstößt. Hieraus wurde abgeleitet, dass auch in Deutschland für die betriebliche Entstrickung eine Stundung entsprechend § 6 Abs. 5 AStG zu gewähren ist.[2]. Die Finanzverwaltung ist dem nicht gefolgt und vertrat die Auffassung, dass § 4g EStG mit der Antragsverteilung auf 5 Jahre einer faktischen, pauschalierenden Stundung entspricht.

In der Entscheidung DMC zur Steuerentstrickung nach § 20 Abs. 3 UmwStG 1995[3] ist der EuGH dem Petitum der Verwaltung faktisch gefolgt. Die Urteilsgrundsätze lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Die Sofortfestsetzung ist möglich, der Fiskus braucht nicht die tatsächliche Realisation der stillen Reserven abzuwarten;
  • Das "Stundungskonzept" des deutschen Gesetzgebers (§§ 4g, 36 EStG) ist im Grundsatz europarechtlich zulässig;
  • Später realisierte Wertminderungen müssen nicht berücksichtigt werden, und zwar unabhängig von einem evtl. Step up im anderen Sta...

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