Gegen die Besteuerung von Entstrickungsgewinnen wird regelmäßig vorgebracht, sie verstoße gegen die im EGV verbürgte Niederlassungsfreiheit wie auch gegen die Vorgaben der Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom 23.7.1990 (Fusionsrichtlinie – FRL). Dabei wird insbesondere auf die Ausführungen des EuGH in den Urteilen vom 13.12.2005, Rs. C-411/03 (‹SEVIC Systems›), vom 11.3.2004, Rs. C-9/02 (‹Lasteyrie du Saillant›)[1] vom 7.9.2006, Rs. C-470/04 (‹N.›)[2] und v. 29.11.2011 – C-371/10 (National Grid Industries)[3] verwiesen. Die Finanzverwaltung ist hingegen der Auffassung, dass der Gesetzgeber die Entstrickungsvorschriften europarechtskonform ausgestaltet hat und hat weitere Musterverfahren in Gang gesetzt. Gestützt wird diese Annahme durch einen Hinweis der Kommission der Europäischen Gemeinschaften in ihrer begründeten Stellungnahme vom 30.3.2004 im Vertragsverletzungsverfahren Nr. 1999/4371 zu § 6 AStG, wonach sie gegenüber der Bundesrepublik Deutschland feststellt, dass der Bundesrepublik das unbestrittene Recht zustehe, Wertzuwächse eines Steuerpflichtigen zu besteuern.[4]

Zudem ist zu beachten, dass insoweit nur Vertragsverletzungsverfahren hinsichtlich Entstrickungsnormen gegenüber Schweden, Spanien und Portugal erhoben wurden. Zumindest im Fall des Wegzugs eines Einzelunternehmens oder einer Körperschaft ist allerdings festzuhalten, dass eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit vorliegt, da ein Umzug in Deutschland keine Besteuerung auslöst. Allerdings ist m. E. die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gerechtfertigt.

Denn mit dieser Beschränkung wird ein zwingendes Interesse der Allgemeinheit, die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungshoheit zwischen den Mitgliedstaaten, verfolgt.[5] Der EuGH geht in diesem Urteil ersichtlich davon aus, dass es den Mitgliedstaaten in Ermangelung gemeinschaftsrechtlicher Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen freistehe, insbesondere zur Beseitigung der Doppelbesteuerung die Kriterien für die Aufteilung ihrer Steuerhoheit vertraglich oder einseitig festzulegen (Rn. 44). In dieser Hinsicht sei es, so fährt der EuGH (Rn. 45) fort, ‹für die Mitgliedstaaten nicht sachfremd, sich an der internationalen Praxis und den von der (...) OECD erarbeiteten Musterabkommen zu orientieren›.

Der EuGH verweist sodann (Rn. 46) auf Art. 13 Abs. 5 OECD-MA, wonach Gewinne aus der Veräußerung von Vermögensgegenständen in dem Staat der Steuer unterliegen, in dem der Veräußerer ansässig ist. Es entspreche diesem – mit einem zeitlichen Element, nämlich dem Aufenthalt im Inland während der Entstehung des steuerpflichtigen Gewinns, verbundenen – Grundsatz der steuerlichen Territorialität, dass die streitigen Bestimmungen die Beitreibung der beim Wegzug des betreffenden Steuerpflichtigen festgesetzten und bis zur tatsächlichen Veräußerung der Anteile gestundeten Steuer auf den angefallenen Wertzuwachs vorsehen. Der EuGH sieht den Territorialitätsgrundsatz, wie er in Art. 13 Abs. 5 OECD-MA niedergelegt ist, aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht also als hinreichend an, um die Besteuerung des Wertzuwachses im Wegzugsstaat zu ermöglichen.

Das steht in Einklang mit dem allseits vertretenen Abkommensverständnis: Danach ist ein bilateraler Zugriff des jeweiligen Wegzugsstaats auf Wertzuwächse, die bis zum Wegzug innerhalb seines Territoriums entstanden sind, zwar als Besteuerung eines Veräußerungsgewinns i. S. v. Art. 13 Abs. 5 OECD-MA aufzufassen und unterfällt dementsprechend dessen Regelungsbereich und nicht dem des Art. 21 OECD-MA. Art. 13 Abs. 5 OECD-MA belässt jedoch gleichwohl Raum für eine derartige Wegzugsteuer; die Vorschrift ermöglicht den unilateralen Zugriff des jeweiligen Wegzugsstaats auf die beschriebenen Wertzuwächse.

Von dieser Möglichkeit hat der deutsche Gesetzgeber mit den gesetzlichen Entstrickungsregelungen Gebrauch gemacht. Die Regelung sichert den entsprechenden Steuerzugriff.

Mit der Entscheidung des EuGH[6] bzw. FG Düsseldorf[7] in der RS "verder lab tec“ ist diese Problematik aus Sicht der Finanzverwaltung abschließend entschieden worden. Im Urteilsfall war die Klägerin eine Kommanditgesellschaft, welche im Streitjahr 2005 Patent-, Marken- und Gebrauchsmusterrechte auf ihre niederländische Betriebsstätte übertrug. Das Finanzamt stellte im Rahmen einer Betriebsprüfung fest, dass die Überführung der Rechte gemäß Tz. 2.6.1 der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze[8] unter Aufdeckung der stillen Reserven mit dem Fremdvergleichswert im Zeitpunkt der Überführung erfolgen müsse. Der Wert der stillen Reserven sei jedoch aus Billigkeitsgründen durch einen Merkposten in gleicher Höhe zu neutralisieren, welcher linear über einen Zeitraum von 10 Jahren gewinnerhöhend aufzulösen sei.

Aufgrund des Vorlagebeschlusses des FG Düsseldorf entschied der EuGH, dass die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV den im Streitfall zur Anwendung kommenden Entstrickungsregelungen nicht entgegen steht. Damit ergibt sich allerdings nicht zwangsläufig ein Anspruch auf Verteilung der stillen Reserven...

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