Die Realisierung von stillen Reserven erfolgt bei allen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens und Umlaufvermögens, es wird auch nicht zwischen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern unterschieden.

Bei der praktischen Umsetzung der Entstrickungsregeln in § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG kommt man zu folgenden Fallgruppen, in denen sich die Frage stellt, ob eine Entstrickung durchzuführen ist oder der Vorgang im Inland zu keiner Rechtsfolge führt:

  • Fallgruppe 1: Ausschluss des Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts

    Aufgrund der in den DBA für gewerbliche Einkünfte regelmäßig zu gewährenden Steuerfreistellung für Unternehmens-Einkünfte handelt es sich um den in der Praxis häufigsten Fall.

    Diese Konstellation tritt regelmäßig bei körperlichen Überführungen ins Ausland auf, z. B. wenn eine gebrauchte Maschine nach Frankreich (Freistellungsmethode im DBA) überführt wird. Sie kann aber auch entstehen, wenn Personal ins Ausland ‹umgesetzt› wird, weil z. B. dann das verwaltete Wirtschaftsgut der Personalfunktion funktional folgen muss (Ausnahmefall). Da eine Freistellungsverpflichtung zur vollständigen Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts führt, sind die Voraussetzungen der Entstrickung regelmäßig erfüllt.

  • Fallgruppe 2: Beschränkung des Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts

    Diese Beschränkung liegt vor bei der geänderten körperlichen Zuordnung eines Wirtschaftsguts zu einer Betriebsstätte in einem Anrechnungsstaat. Dies wäre z. B. der Fall, wenn die gebrauchte Maschine nach Finnland (DBA-Anrechnungsmethode) überführt wird. Auch die Anrechnungsverpflichtung führt zur partiellen Beschränkung eines potenziellen deutschen Steueranspruchs.

    Neben den vorgenannten Grundfällen ergeben sich vielfältige Einzel- und Problemfälle, zu denen weder aus der Gesetzesbegründung oder einem BMF-Schreiben die Beurteilung ersichtlich ist.

  • Fallgruppe 3: Überführung in einem Nicht-DBA-Staat (Anrechnung nach § 26 KStG i. V. m. § 34c EStG)

    Hier stellt sich die in der Entstrickungsnorm nicht angesprochene Frage, ob die vom nationalen Gesetzgeber unilateral vorgesehene (freiwillige) Steueranrechnung zu einer ‹schädlichen› Beschränkung des Besteuerungsrechts führt, da dies nicht vom Steuerpflichtigen verursacht wird.

  • Fallgruppe 4: Der ausländische Staat nimmt sein Besteuerungsrecht entweder rechtlich oder faktisch nicht wahr

    So kann z. B. die Situation entstehen, dass im anderen Staat durch die Gründung einer Fabrik hohe Anlaufverluste entstehen und es absehbar ist, dass es deshalb innerhalb einer denkbaren Veräußerungszeitspanne (Restnutzungsdauer) zu keiner potenziell anzurechnenden ausländischen Steuer kommt.

    Denkbar ist auch, dass der ausländische Staat für den Zeitraum eine Steuerbefreiung als Investitionsanreiz gewährt (‹Tax Holiday›).

    In diesen Fällen erscheint es fraglich, ob bei einer rein wörtlichen Auslegung diese Aufdeckung der stillen Reserven zu erfolgen hat, da keine effektive Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts erfolgt.

  • Fallgruppe 5: Abschluss eines DBA mit Freistellungsmethode

    Es stellt sich die Frage, ob durch Abschluss eines DBA, mit dem von der Anrechnungsmethode (nach früherem DBA oder § 34c EStG) zur Freistellungsmethode übergegangen wird, der Entstrickungstatbestand für Wirtschaftsgüter ausgelöst wird, die bei Abschluss des DBA einer Betriebsstätte dieses Staats zugeordnet sind.

    Da nicht auf ein Handeln des Unternehmens abgestellt wird, kommt es nach dem Gesetzeswortlaut entgegen der früheren Handhabung[1] zu einer Entstrickung. Ein entsprechender Fall ist durch den Abschluss des DBA Liechtenstein eingetreten. Das Protokoll zum DBA sieht hierzu eine Verteilung des Entstrickungsgewinns auf 5 Jahre vor, was der Grundkonzeption des § 4g EStG entspricht. Die Finanzverwaltung überträgt diese Grundsätze auf alle Fälle der Neuzuordnung der Besteuerungsrechte/erstmaliger Freistellung in den DBA (sogenannte passive Entstrickung).[2]

[2] BMF, Schreiben v. 26.10.2018, IV B 5 – S 1348/07/100002 – 01, BStBl I 2018 S. 1104.

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