[1] Ggf. unwirksam mit der Folge der Weiteranwendung der Rechtsprechung, vgl. nachfolgend Tz. 6.6.3.2.

6.6.3.1 Allgemeines

Das Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) regelt die Frage der Steuer-Entstrickung im Betriebsvermögen sowohl in § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG für Personenunternehmen (als fiktive Entnahmen) bzw. § 12 KStG (als fiktive Einnahmen). Vergleichbare Besteuerungstatbestände wurden auch ins UmwStG aufgenommen.

Beiden Vorschriften gemeinsam ist der die Entstrickung auslösende Tatbestand des Verlusts oder der Einschränkung der deutschen Besteuerungsmöglichkeit. Hierbei ist vorab festzuhalten, dass die gesetzliche Entstrickung nicht nur die Überführung/Neuzuordnung von Wirtschaftsgütern, sondern auch deren partielle grenzüberschreitende Nutzung betrifft. Es stellt sich vorab die Frage, ob der deutsche Gesetzgeber neben den DBA nationale Grundsätze der Steuer-Entstrickung entwickeln kann, ob es hierbei Grenzen gibt, oder ob er dadurch gegen DBA verstößt.

Bei der Überführung von Waren oder anderen Wirtschaftsgütern rein im internen Leistungsaustausch zwischen Stammhaus und Betriebsstätte oder umgekehrt stellt sich die Frage, ob eine Gewinnrealisierung erst beim Weiterverkauf an fremde Dritte oder bereits bei der internen Transaktion möglich ist. Der OECD-MA-MK[1] verweist darauf, dass eine Besteuerung nach Art. 7 für die Gewinne, die bei einer derartigen Transaktion als entstanden gelten, grds. möglich ist. Hinsichtlich des Zeitpunkts der Gewinnrealisation weist der Kommentar darauf hin, dass grds. eine Gewinnrealisation für das Gesamtunternehmen erst zum Zeitpunkt des Außengeschäfts entsteht, dass es gleichwohl aber auch möglich ist, dass die einzelnen Staaten die Besteuerung bereits zum Zeitpunkt der Überführung in den anderen Betriebsteil vornehmen. Maßgebend ist damit das interne Steuerrecht des jeweiligen Überführungsstaates.[2] In Deutschland wurde damit erstmals mit dem SEStEG durch die Einführung der nationalen Rechtsvorschriften der §§ 4 Abs. 1 Satz 3, 4g EStG und § 12 Abs. 1 KStG zulässigerweise eine Rechtsgrundlage geschaffen. Unabhängig davon stellt sich allerdings bei der Ausgestaltung im Einzelnen, und zwar insbesondere bei der Besteuerung von Nutzungen, die abkommensrechtliche Zulässigkeitsfrage (s. Tz. 6.6.2.3).

Hinsichtlich dieses gesetzgeberischen Konzepts der Sofortbesteuerung wurde in der Literatur vorwiegend vorgebracht, dass diese eine europarechtlich unzulässige Diskiminierung vornimmt, da sich bei einer Überführung zwischen zwei inländischen Betriebsstätten keine steuerlichen Konsequenzen ergeben.[3]

[1] Rz. 15, 15.1, 15.2, 15.3 und 15.4 zu Art. 7.
[2] Rz. 15.1 des MAK zu Art. 7 OECD-MA.
[3] Zur Rechtsprechung hierzu vgl. Tz. 6.8.

6.6.3.2 Schlussfolgerungen für die Entstrickungsregeln in § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG

Die gesetzlichen Entstrickungsregelungen fingieren eine gewinnrealisierende Entnahme, wenn ‹das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschlands hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts ausgeschlossen oder beschränkt wird› .

 
Hinweis

Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte

In seinem Urteil vom 17.7.2008 (I R 77/06)[1] zur Aufgabe der Entnahmetheorie verneint der BFH aber gerade einen solchen Verlust oder eine Beschränkung des Besteuerungsrechts Deutschlands. Auch in der Literatur wird teilweise bezweifelt, dass es bei Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte zu einem Ausschluss oder einer Beschränkung des Besteuerungsrechts und damit zur Anwendung von § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG kommen kann.[2]

Der Nichtanwendungserlass der Finanzverwaltung[3] enthält jedoch die Aussage, dass die gesetzlichen Entstrickungsregelungen des SEStEG (u. a. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG) von den Urteilsgrundsätzen nicht berührt werden. In der Literatur wird dem nicht gefolgt.[4]

[2] Z. B. Wassermeyer, in DB 2006 S. 2420.
[4] Vgl. z. B. ablehnend Körner, IStR 2009 S. 741; Prinz, DB 2009 S. 2007; den Nichtanwendungserlass bejahend Mitschke, IStR 2009 S. 26, FR 2009 S. 326.

6.6.3.3 Entstrickung von Wirtschaftsgütern

Die Realisierung von stillen Reserven erfolgt bei allen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens und Umlaufvermögens, es wird auch nicht zwischen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern unterschieden.

Bei der praktischen Umsetzung der Entstrickungsregeln in § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG kommt man zu folgenden Fallgruppen, in denen sich die Frage stellt, ob eine Entstrickung durchzuführen ist oder der Vorgang im Inland zu keiner Rechtsfolge führt:

  • Fallgruppe 1: Ausschluss des Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts

    Aufgrund der in den DBA für gewerbliche Einkünfte regelmäßig zu gewährenden Steuerfreistellung für Unternehmens-Einkünfte handelt es sich um den in der Praxis häufigsten Fall.

    Diese Konstellation tritt regelmäßig bei...

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