Leitsatz

Innergemeinschaftliche Lieferungen sind entgegen § 6a UStG umsatzsteuerpflichtig, wenn der Unternehmer die Identität seines Abnehmers verschleiert, um diesem die Hinterziehung der geschuldeten USt zu ermöglichen (Anschluss an das EuGH-Urteil vom 07.12.2010, C-285/09, "R", BFH/NV 2011, 396, BFH/PR 2011, 59).

 

Normenkette

§ 3 Abs. 1, § 4, § 6a UStG 1999, § 41 AO, Art. 28c der 6. EG-RL

 

Sachverhalt

Streitig waren Handy-Lieferungen in andere Mitgliedstaaten, die die Klägerin von Gesellschaften bezogen hatte, deren Geschäftsführer (G) zugleich Geschäftsführer der Abnehmerfirmen war. Das FG stützte sich auf Feststellungen eines Strafurteils gegen G, die Klägerin sei dolos in ein USt-Karussell eingebunden gewesen (FG des Saarlandes, Urteil vom 30.06.2010, 1 K 1319/07, Haufe-Index 2374627, EFG 2010, 1740).

 

Entscheidung

Der BFH verwies die Sache an das FG zurück, das konkrete Feststellungen zu den Umsätzen der Klägerin treffen muss, insbesondere, ob ein Scheingeschäft vorliegt oder die Identität des Abnehmers verschleiert wurde. Festzustellen ist, welche Abnehmer ihre steuerlichen Pflichten in Hinterziehungsabsicht nicht erfüllt haben und ob dies der Klägerin bekannt war oder hätte bekannt sein müssen.

Ob – eine Lieferung i.S.d. UStG unterstellt – die Steuerfreiheit auch dann zu versagen ist, wenn – ohne dass über den Abnehmer getäuscht wird – der Lieferer Kenntnis von der Hinterziehungsabsicht des Erwerbers im anderen Mitgliedstaat hat oder hätte haben müssen, ist nach der vorhandenen Rechtsprechung des EuGH nicht zweifelsfrei und erfordert – wie der BFH ausdrücklich erwähnt – ggf. eine Klärung durch den EuGH.

 

Hinweis

Der BFH hat in zwei Urteilen (BFH, Urteil vom 17.02.2011, V R 28/10, BFH/NV 2011, 1448, BFH/PR 2011, 343 und BFH, Urteil vom 17.02.2011, V R 30/10, BFH/NV 2011, 1451) zu den Nachweispflichten bei innergemeinschaftlichen Lieferungen entschieden. Beide betreffen die Bedeutung der Nachweispflicht im Hinblick auf die Person und die Identität des Abnehmers. Die wesentlichen Grundsätze ergeben sich aus den Praxis-Hinweisen zur vorstehenden Entscheidung V R 28/10 (S. 343).

Im vorliegenden Fall hatte das FG die Klageabweisung im Wesentlichen allein darauf gestützt, dass bereits die "dolose Einbindung" in ein "USt-Karussell" zur Steuerpflicht der innergemeinschaftlichen Lieferungen führe.

Der Hinweis auf ein "Karussellgeschäft" ersetzt keine tatsächlichen Feststellungen in Bezug auf den konkreten Vorgang (Umsatz), um dessen steuerrechtliche Beurteilung es geht. Allein der Umstand, dass der Abnehmer steuerliche Pflichten nicht erfüllt, berechtigt jedenfalls noch nicht zur Versagung der Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung. Dies ergibt ein Vergleich des Vorabentscheidungsersuchens des BGH in der Rechtssache "R" und der Entscheidung des EuGH (EuGH, Urteil vom 07.12.2010, C-285/09, "R" (BFH/NV 2011, 396, BFH/PR 2011, 59). Entscheidend ist zunächst, ob eine Lieferung vorliegt oder ob es sich deswegen um ein Scheingeschäft handelt, weil alle Koordinaten der "Lieferung" (z.B. Liefergegenstand, Abnehmer und Verkaufspreis) von vornherein feststehen. Ein solcher Sachverhalt war Gegenstand des BGH-Urteils vom 08.02.2011, 1 StR 24/10, BFH/NV 2011, 1103).

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 17.02.2011, V R 30/10BFH, Urteil vom 17.02.2011 – V R 30/10

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