Sachverhalt

Das schwedische Vorabentscheidungsersuchen betraf die Auslegung verschiedener Bestimmungen der MwStSystRL im Hinblick auf die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung und der Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs neuer Wasserfahrzeuge.

Der in Schweden wohnhafte Kläger beabsichtigte, im Vereinigten Königreich ein neues Segelboot mit einer Länge von mehr als 7,5 Metern für seinen privaten Gebrauch zu erwerben. Im Rahmen der Beantragung eines Vorbescheids der zuständigen schwedischen Behörde begehrte er Auskunft über die mehrwertsteuerlichen Konsequenzen seiner folgenden Verhaltensalternativen nach der Übergabe des Segelboots an ihn:

  • Verwendung des Segelboots im Vereinigten Königreich für drei bis fünf Monate und mehr als 100 Stunden; danach Überführung nach Schweden als endgültigem Bestimmungsort;
  • Ausfuhr aus dem Vereinigten Königreich unmittelbar nach der Übergabe; danach Verwendung des Segelboots in anderen Mitgliedstaaten als Schweden und dem Vereinigten Königreich für drei bis fünf Monate und mehr als 100 Stunden; danach Überführung nach Schweden als endgültigem Bestimmungsort.

Die schwedische Behörde entschied, dass in beiden Fällen ein steuerpflichtiger innergemeinschaftlicher Erwerb eines neuen Fahrzeugs in Schweden anzunehmen sei. Denn der Kläger wolle das Segelboot letztlich nach Schweden bringen und zum Zeitpunkt der Übergabe an ihn im Vereinigten Königreich sei es auch noch "neu" im Sinne der MwStSystRL gewesen. Vor diesem Hintergrund sei die zwischenzeitliche Verwendung in anderen Mitgliedstaaten unerheblich.

Der Kläger war der Ansicht, dass die Entscheidung der schwedischen Behörde nur dann zutreffend wäre, wenn er unmittelbar nach dem Erwerb die Fahrt nach Schweden antreten, diese nur eine kurze Zeit dauern und nicht unterbrochen würde. Für die Frage, ob ein Fahrzeug "neu" im Sinne der mehrwertsteuerlichen Bestimmungen sei, müsse außerdem auf den Zeitpunkt der Ankunft im Bestimmungsmitgliedstaat abgestellt werden.

 

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass die Einstufung eines Umsatzes als innergemeinschaftlicher Erwerb gem. Art. 20 Abs. 1 MwStSystRL bzw. als innergemeinschaftliche Lieferung nach Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL nicht von der Einhaltung einer konkreten Frist zwischen Beginn und Ende der Beförderung abhängt

Wenn ein Mitgliedstaat - wie wohl im Vorlagefall das Vereinigte Königreich - eine von der Verwaltung festgelegte Frist vorsieht, innerhalb derer der Liefergegenstand den Mitgliedstaat verlassen haben muss, um als Gegenstand einer - steuerfreien - innergemeinschaftlichen Lieferung anerkannt zu werden, müsse ggf. eine Rückerstattung der Steuer erfolgen, sofern der Vorgang tatsächlich in einem anderen Mitgliedstaat als innergemeinschaftlicher Erwerb zu besteuern ist.

Speziell bei neuen Fahrzeugen ist nach dem Urteil das Beförderungsende in dem Mitgliedstaat anzunehmen, in dem "die endgültige und dauerhafte Verwendung" des Fahrzeugs stattfindet. Zu diesem Zweck ist eine "umfassende Beurteilung aller objektiven tatsächlichen Umstände vorzunehmen", zu denen auch die objektiv manifestierten Absichten des Erwerbers gehören. Hierzu zählen im Einzelnen der zeitliche Ablauf der Beförderung, der Ort der Registrierung des Fahrzeugs, der Ort der gewöhnlichen Verwendung, der Wohnort des Erwerbers und seine sonstigen Bindungen zu einem bestimmten Mitgliedstaat. Des Weiteren sind speziell bei einem Segelboot zusätzlich zu beachten der Flaggenmitgliedstaat, der gewöhnliche Liege- oder Ankerplatz sowie der Winterliegeplatz.

Weiterhin hat der EuGH entschieden, dass das Tatbestandsmerkmal "neu" in Art. 2 Abs. 2 Buchst. b MwStSystRL zum Zeitpunkt der Lieferung festzustellen ist, d. h. es kommt auf den Zeitpunkt der Übertragung des Eigentümerverfügungsrechts vom Verkäufer auf den Erwerber an und nicht auf das Ende der Beförderung in den Bestimmungsmitgliedstaat.

Zwar hat der EuGH entschieden, dass die Einstufung eines Umsatzes als innergemeinschaftliche Lieferung oder innergemeinschaftlicher Erwerb nicht von der Einhaltung einer konkreten Frist abhängen, innerhalb deren die Beförderung des gelieferten Gegenstands beginnen oder abgeschlossen sein muss. Diese Feststellung ergibt sich eher aus der Tatsache, dass es sich bei dem Liefergegenstand um ein neues Fahrzeug handelte. Hier besteht die Besonderheit, dass der Erwerbsteuerpflichtige nicht zwangsläufig ein Unternehmer sein muss, sondern auch eine Privatperson sein kann. Käme es auf Fristen an, innerhalb derer der Liefergegenstand in den Bestimmungsmitgliedstaat gelangen muss, würde der Sinn der Regelungen zum innergemeinschaftlichen Handelsverkehr ins Gegenteil verkehrt. Denn solche Fristen ermöglichten den Kaufvertragsparteien - im Zusammenwirken oder sogar nach individuellem Entschluss -, diese Regelungen durch die Gestaltung des Zeitpunktes des Gelangens des gelieferten Gegenstands in den Bestimmungsmitgliedstaat oder durch die Gestaltung des Beförderungszeitraumes zu umgehen.

Gleichwohl muss nach der Entscheidung ein gewiss...

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