Der Forschungs- und Entwicklungsbegriff von IAS 38 umfasst nicht nur klassische Fälle wie die Erfindung neuer Produktionstechnologien, neuer Medikamente usw. Er dient vielmehr allgemein der Abgrenzung zwischen einem frühen, konzeptionellen Stadium der Herstellung eines immateriellen Guts und einem späteren, fortgeschritteneren Stadium. IAS 38.52 spricht daher von den Phasen der Forschung und Entwicklung und hält fest, dass diese Begriffe in IAS 38 eine weitere Bedeutung (broader meaning) haben als üblicherweise. Deutlich wird dieser erweiterte Begriffsumfang am Beispiel der in SIC–32 behandelten Erstellung einer Webseite:

 

Beispiel

Die Less-is-More GmbH produziert und vertreibt über den Handel minimalistisch designte, dafür aber hochpreisige Haushaltsutensilien wie Korkenzieher, Saftpressen etc. Angesichts des jungen und fortschrittlichen Kundenkreises hat man bereits früh auch eine Webseite erstellt, die einerseits Direktbestellungen ermöglicht, andererseits die Less-is-more-Philosophie verbreitet. Die Erstellung der Webseite verlief in folgenden Phasen:

1. Machbarkeitsstudie, Formulierung Hardware- und Softwareanforderungen.

2. Applikation: Entwicklung und Test der Software.

3. Grafikdesign.

4. a) Content-Entwicklung für Direktbestellsystem.

4. b) Dito für philosophischen Teil.

5. Im Übrigen wird die Seite laufend gewartet und mit Updates versehen.

Beurteilung

1. Die Machbarkeitsstudie verursacht nicht aktivierungsfähige Forschungsaufwendungen.

2. + 3. Applikation und Grafikdesign sind unter der Voraussetzung nachgewiesener Machbarkeit und nachgewiesenen Nutzens als Entwicklungsaufwendungen zu aktivieren.

4. a) Für die Content-Entwicklung gilt in Bezug auf die Direktbestellungen das Gleiche.

4. b) Nicht aktivierungsfähig sind hingegen die Aufwendungen für den philosophischen Teil. Sie sind Werbeaufwand und daher gemäß IAS 38.57 mit einem generellen Aktivierungsverbot belegt.

5. Laufende Wartung und Updates sind Instandhaltungsaufwand und daher nicht zu aktivieren.

Aufgrund der breiten Anwendbarkeit des Entwicklungsbegriffs besteht die "Gefahr", auch Marken, Kundenstamm und andere "Vorteile" zu aktivieren. Dem wirkt IAS 38.63 mit einem speziellen Aktivierungsverbot für originäre Marken, Kundenlisten, Zeitschriftentitel und "ähnliche Vermögenswerte" entgegen. Das BilMoG hat diese speziellen Verbote in § 248 Abs. 2 HGB übernommen.

 

Beispiel

Die Geiz AG vertreibt niedrigpreisige Konsumgüter, anfangs unter den Herstellermarken, seit einigen Jahren erfolgreich unter der Eigenmarke "Pfennigfuchser". Nunmehr soll eine weitere Marke "Geizhals" etabliert werden. Die Herstellung der Marke verläuft wie folgt:

 
Jahr 01: Konzeption von Marke und Werbefeldzug – 100 TEUR
Jahr 02: Test auf einem lokalen Markt – 400 TEUR
Jahr 03: (nach außerordentlichem Erfolg des Tests) Etablierung in der gesamten Bundesrepublik – 10 Mio. EUR
Jahre 04 ff.: Pflege der Marke – 5 Mio. EUR p. a.

Die Geiz AG möchte den Aufwand des Jahres 03 aktivieren. Den Nutzen der Marke sieht sie aufgrund des außerordentlichen Erfolgs des Tests schon per Ende 02 als nachgewiesen an.

Beurteilung

Nach den allgemeinen Kriterien von IAS 38 wäre die Aktivierung zulässig und geboten. IAS 38.63 durchbricht jedoch in kasuistischer Weise die allgemeinen Regeln und verbietet die Aktivierung.

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