Nicht jede mögliche Außenverpflichtung ist rückstellungsfähig. Es muss eine Mindestwahrscheinlichkeit für die Inanspruchnahme geben. IAS 37.23 setzt diese Wahrscheinlichkeit auf 51 %. Ein drohender Abfluss von Ressourcen ist erst dann rückstellungsfähig, "wenn mehr dafür als dagegen spricht". Dies entspricht der in Deutschland vom BFH vertretenen Auffassung. Nach dessen Rechtsprechung ist eine Rückstellung dann anzusetzen, wenn "mehr Gründe für als gegen das Be- oder Entstehen einer Verbindlichkeit und eine künftige Inanspruchnahme sprechen" (BFH, Urteil v. 1.8.1984, I R 88/80, BStBl II 1985 S. 46). Die deutschen handelsrechtlichen Kommentierungen stehen dieser Steuer-Rechtsprechung kritisch gegenüber ("Scheinquantifizierung") und bejahen eine Rückstellung z. T. bereits dann, wenn eine Inanspruchnahme zwar eher unwahrscheinlich ist, aber bei einer gedachten Veräußerung des Unternehmens zu einem Kaufpreisabschlag führen würde.

 

Beispiel

Rechtzeitig vor Weihnachten lässt Josef Schmitz seinen Kleinwagen bei der Power Car GmbH tiefer legen, den Motor tunen und diverse Spoiler anbringen. Am 23.12.01 holt er das Fahrzeug ab, macht sich auf den Weg nach Hause in die Voreifel. Am Bliesheimer Kreuz macht er seinem Wahlspruch "Tiefer legen, schneller fliegen" alle, aber leider auch die letzte Ehre. Seine Erben klagen gegen die Power Car GmbH wegen Unterhaltsansprüchen auf 1 Mio. EUR. Ein Urteilstermin ist nicht absehbar. Der Gutachter der Power Car GmbH kommt im Frühjahr 02 zum Ergebnis, dass die Power Car GmbH mit hoher Wahrscheinlichkeit (mündlich als "zu 90 %" erläutert) keine Schuld trifft.

Die handelsbilanzielle Behandlung ist unklar: Nach Adler/Düring/Schmaltz[1] empfiehlt es sich in derartigen Fällen, die Bilanzaufstellung im zulässigen Rahmen zu verzögern, um dadurch mehr Klarheit zu gewinnen. Dieser Hinweis wird im vorliegenden Fall kaum hilfreich sein. Nach Beck´schem Bilanz-Kommentar[2] ist eine Rückstellung dem Grunde nach zu bejahen, da ein gedachter Erwerber des Unternehmens das schwebende Verfahren in seinem Kaufpreiskalkül berücksichtigen würde. Auch dieser Hinweis hilft nicht wirklich weiter. Das schwebende Verfahren wird die Power Car GmbH eher unverkäuflich machen bzw. nur unter der Voraussetzung verkäuflich machen, dass die Veräußerer werthaltige Garantien abgeben. Aus der Perspektive eines gedachten Erwerbers wäre damit zwar dem Grunde nach eine Rückstellung zu bilden, die aber nicht quantifiziert werden könnte. Soweit man für die Quantifizierung auf den Betrag mit der höchsten Wahrscheinlichkeit abstellen würde[3], käme man zu einer Null-Rückstellung und damit doch wieder zu keiner Rückstellung. Die handelsrechtliche Bilanzierung ist also eine offene Frage.

Nach IFRS taugt der Anspruch der Erben Schmitz nur für eine Eventualverbindlichkeit. Eine Rückstellung scheitert schon daran, dass die Inanspruchnahme nicht überwiegend wahrscheinlich ist. Die Power Car GmbH hat in den notes zu ihrem IFRS-Abschluss über die Eventualverbindlichkeit zu berichten. Eine solche Angabe im Anhang kann nur dann unterbleiben, wenn die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme (ganz) unwahrscheinlich (remote) ist.

Trotz überwiegender Wahrscheinlichkeit ist nach IFRS nur eine Eventualverbindlichkeit und keine Rückstellung angezeigt, wenn eine zuverlässige Schätzung des dem Grunde nach zurückzustellenden Betrags nicht möglich ist. Diese Fälle werden in IAS 37.25 f. als "äußerst selten" bezeichnet, da eine Bandbreiten-Schätzung für die Rückstellungsbewertung im Allgemeinen ausreicht. Die Voraussetzungen der Rückstellungsbildung nach IAS 37 sind in dem nachfolgenden Prüfschema zusammengefasst.

Abb. 1: Prüfschema: Rückstellungen nach IAS 37

[1] ADS, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 5. Aufl., § 253 HGB, Anm. 178.
[2] Schubert, in: Beck Bil-Komm, 13. Aufl., § 249 HGB, Anm. 62.
[3] So Schubert, in: Beck Bil-Komm, 13. Aufl., § 253 HGB, Anm. 136.

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