Leitsatz

Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO beginnt, wenn die angezeigte Steuerverkürzung dem Grund nach individualisiert werden kann, der Steuerpflichtige also Steuerart und Veranlagungszeitraum benennt und den Sachverhalt so schildert, dass der Gegenstand der Selbstanzeige erkennbar wird.

 

Normenkette

§ 171 Abs. 9, § 370, § 371, § 153 AO

 

Sachverhalt

Der Berater der Kläger übersandte dem FA am 06.11.1998 ein Schreiben, das im Betreff als "strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO" überschrieben war. Darin wurde erklärt, dass die Kläger in Bezug auf die ESt, GewSt, VSt sowie USt unrichtige Angaben über die Höhe der tatsächlichen Einnahmen ihres Metzgereibetriebs gemacht hatten. Wegen fehlender Unterlagen könnten keine genauen Angaben über die nicht erklärten Einnahmen gemacht werden. Diese seien bereits bei der ausländischen Bank angefordert worden. Deswegen seien die entsprechenden Einkünfte nur grob zu schätzen. Zur Angabe der konkreten Zahlen werde um eine angemessene Frist gebeten.

In einer Besprechung im Juni 1999 legte der Kläger dem FA erstmals Unterlagen vor. Darin waren auch das Streitjahr 1987 betreffende Angaben enthalten. Das FA erließ im Jahr 1999 die entsprechenden geänderten Bescheide.

Gegen diese Änderungsbescheide machten die Kläger geltend, für 1987 sei bereits zum 31.12.1998 Festsetzungsverjährung eingetreten. Ihre Selbstanzeige betreffe nur die dort genannten strafrechtlich relevanten Jahre.

Das FG hat der Klage stattgegeben (FG Düsseldorf, Urteil vom 29.11.2007, 16 K 458/05 E,G,U, Haufe-Index 1996702). Durch das Schreiben vom 06.11.1998 sei keine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO eingetreten. Das sog. Berichtigungserfordernis (§ 371 Abs. 1 AO) sei nicht im Jahr 1998, sondern erst durch die substanziiert begründete Schätzung der Besteuerungsgrundlagen im Juni 1999 erfüllt worden.

Mit seiner Revision macht das FA geltend, es reiche für die Verjährungshemmung aus, wenn der zuständigen Behörde angezeigt werde, dass die abgegebenen Erklärungen unrichtig oder unvollständig sind, und diese Mitteilung so viele Tatsachenangaben enthalte, dass die angezeigte Steuerverkürzung dem Grund nach individualisiert werden könne.

 

Entscheidung

Der BFH teilte die Auffassung des FA aus den in den Praxis-Hinweisen aufgeführten Gründen, hob das Urteil auf und wies die Klage ab.

 

Hinweis

Selbstanzeigen stehen immer mehr im Fokus der Öffentlichkeit. Dies gilt nicht nur wegen der in den letzten Jahren steigenden tatsächlichen Bedeutung, sondern auch wegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung in diesem Jahr.

1. In einem vielbeachteten Beschluss hat der BGH jüngst entschieden, dass der Steuerpflichtige, um zu einer wirksamen strafbefreienden Erklärung gem. § 371 AO zu gelangen, bereits auf der ersten Stufe einer Selbstanzeige verpflichtet ist, alle erforderlichen Angaben über die steuerlich erheblichen Tatsachen, notfalls auf der Basis einer Schätzung anhand der ihm bekannten Informationen, zu berichtigen, zu ergänzen oder nachzuholen. Dies gilt auch, wenn dem Steuerpflichtigen aufgrund unzureichender Buchhaltung oder wegen fehlender Belege eine genau bezifferte Selbstanzeige nicht möglich ist. Die Angaben müssen danach in jedem Fall so geartet sein, dass das FA auf ihrer Grundlage in der Lage ist, ohne langwierige Nachforschungen den Sachverhalt vollends aufzuklären und die Steuer richtig festzusetzen.

Genügen die Angaben – bei Anwendung eines strengen Maßstabs – diesen Anforderungen nicht, liegt keine wirksame Selbstanzeige vor (BGH, Beschluss vom 20.05.2010, 1 StR 577/09, DStR 2010, 1133).

2. Eine insoweit unwirksame Selbstanzeige kann aber dennoch die Festsetzungsverjährung hemmen. Der BFH hat mit dem Urteil vom 21.04.2010 entschieden, dass nicht nur eine zur Straffreiheit nach § 371 AO führende Selbstanzeige, mit der der Steuerpflichtige seine unrichtigen oder unvollständigen Angaben in vollem Umfang berichtigt oder ergänzt, die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO auslösen kann.

Ausreichend für den Beginn der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO ist danach, dass die angezeigte Steuerverkürzung dem Grund nach individualisiert werden kann. Dies setzt voraus, dass der Steuerpflichtige Steuerart und Veranlagungszeitraum benennt und den Sachverhalt so schildert, dass der Gegenstand der Selbstanzeige erkennbar wird.

Mit dieser Auslegung werden Wertungswidersprüche vermieden. Ansonsten könnte das FA gegenüber einem in vollem Umfang ehrlich gewordenen Steuerpflichtigen die hinterzogene Steuer im Rahmen des § 171 Abs. 9 AO festsetzen, während bei einem Steuerpflichtigen, der nur unvollständige Angaben macht, die Ablaufhemmung nicht greifen würde. Zudem muss beachtet werden, dass auch eine Anzeige nach § 153 AO die Ablaufhemmung auslöst. Führt aber die pflichtgemäße Korrektur von Angaben, die zunächst nur fahrlässig falsch gemacht wurden, zu einer Ablaufhemmung, muss Gleiches auch für die unvollständige Korrektur vorsätzlich falscher Angaben gelten.

3. Beide Urteile zeigen sehr eindrücklich, dass es unerlässlich ist, dass der Steu...

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