Die Voraussetzungen für eine Haftung nach § 75 AO sind:

  • Übereignung eines Unternehmens oder gesondert geführten Betriebs im Ganzen und
  • kein Erwerb aus der Insolvenzmasse (als negatives Tatbestandsmerkmal)

Ein Unternehmen oder ein gesondert geführter Betrieb werden hierbei wie folgt definiert: ein Unternehmen ist die organisatorische Zusammenfassung von Einrichtungen und dauernden Maßnahmen, um einen wirtschaftlichen oder ideellen Zweck zu verfolgen. Der Haftungstatbestand des § 75 AO orientiert sich am Unternehmensbegriff des Umsatzsteuerrechts.[1] Dazu gehören nicht nur gewerbliche, sondern auch land- und forstwirtschaftliche Zwecke. Die Praxis eines Freiberuflers fällt ebenfalls unter den Begriff des Unternehmens. Strittig ist dies für die Vermietung und Verpachtung.[2]

Der Betrieb ist gegenüber dem Unternehmen der engere Begriff. Ein Unternehmen kann aus mehreren Betrieben bestehen.[3] Die Unterscheidung zwischen Unternehmen und Betrieb entspricht der Regelung des Umsatzsteuerrechts. Für einen Betrieb ist eine gewisse organisatorische Selbstständigkeit erforderlich, sodass der Betrieb im Fall der Veräußerung als selbstständiges Unternehmen geführt werden kann, z. B. die Verkaufsläden einer Kaffeerösterei, die Gastwirtschaft einer Brauerei oder Großhandel und Einzelhandel.[4] Maßgeblich ist hierbei das Gesamtbild der

Verhältnisse.[5]

Nach dem Wortlaut des § 75 AO muss das Unternehmen oder der Betrieb übereignet werden. Der Begriff "Übereignung" ist nicht zivilrechtlich, sondern wirtschaftlich auszulegen.[6] Gemeint ist der Übergang des Unternehmens. Es ist aber dabei nicht auf den Kaufvertrag, sondern auf den quasi-dinglichen Übergang, das "Hineinsetzen" des Erwerbers in das Unternehmen, abzustellen. Die Haftung ist auch dann nicht unverhältnismäßig, wenn das übernommene Unternehmen ausschließlich oder nahezu ausschließlich aus unpfändbaren Vermögensgegenständen besteht.[7]

Keine Übereignung i. S. d. § 75 AO liegt in folgenden Fällen vor:

  • Beim Erwerb in den Fällen der Gesamtrechtsnachfolge. Übereignung bedeutet Eigentumsübergang durch Rechtsgeschäft. Ein rechtsgeschäftlicher Eigentumsübergang ist immer Einzelrechtsnachfolge. Das gilt trotz des § 1 Abs. 1a UStG!
  • Bei Verpachtung und Nießbrauchbestellung, auch wenn dies langfristig geschieht.[8]
  • Bei Abschluss eines Sicherungsübereignungsvertrags über das Unternehmen, obwohl man hier zivilrechtlich von einer Übereignung sprechen muss.

Übereignung im Ganzen: Das Tatbestandsmerkmal der Übereignung im Ganzen bringt in der Praxis die meisten Streitfälle.[9] Die theoretischen Grundlagen sind dagegen weitgehend geklärt.

 
Wichtig

Definition: Übereignung im Ganzen

Eine Übereignung im Ganzen liegt demnach nur vor, wenn die wesentlichen Grundlagen des Unternehmens oder des Betriebs übergehen, sodass der Erwerber das Unternehmen ohne größere Neuinvestitionen fortführen kann.

Es muss folglich ein lebendes Unternehmen übergehen.[10] Werden einzelne Gegenstände nicht übereignet, schließt das die Haftung nicht aus, wenn sie für die Fortführung nicht lebenswichtig sind. Für die Frage der Lebensfähigkeit gibt es wenige allgemein geltende Voraussetzungen. Es kommt jeweils auf den Einzelfall an.

Als geklärt angesehen werden kann aber Folgendes[11]:

  • Der Übergang von Forderungen und Schulden bildet i. d. R. keine wesentliche Grundlage für die Fortführung des Unternehmens.
  • Auch die Fortführung der Firma ist nicht als wesentliche Betriebsgrundlage anzusehen.
  • Das Warenlager kann je nach Art des Unternehmens wesentlich sein, z. B. wesentlich bei einer Modeboutique, unwesentlich aber bei einem Fischgeschäft. Es kommt also gerade hier auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls an.
  • Das Betriebsgrundstück wird hingegen oft eine wesentliche Betriebsgrundlage sein[12], jedoch nicht zwingend. Das gilt ebenso für die Übernahme des Mietvertrags, des Fachpersonals usw.

Der Erwerb eines lebenden Betriebs kann auch dann gegeben sein, wenn der Betrieb vor der Übereignung vorübergehend stillgelegt wurde. Es kommt auch hier auf die Umstände des Einzelfalls an. Der Dauer der Stilllegung kommt dabei eine gewisse Bedeutung zu.[13] Von besonderer Bedeutung ist hierbei auch die Frage, ob der Erwerber das Unternehmen ohne größere Schwierigkeiten wieder in Gang setzen kann.

Erfolgt der Erwerb in mehreren Schritten, aber mit der Gesamtabsicht, das ganze Unternehmen zu erwerben, kommt ebenfalls eine Haftung nach § 75 AO in Betracht. Allerdings muss ein zeitlicher und funktioneller Zusammenhang gegeben sein.[14]

Erwirbt jemand das Unternehmen nur in der Absicht, es zu schließen und "auszuschlachten", hat er kein lebendes Unternehmen erworben. Schließt ein Erwerber das Unternehmen aber, um so die Konkurrenz zu beseitigen, ist die Haftung nach § 75 AO zu bejahen, da dann ein an sich lebensfähiges Unternehmen erworben worden ist. Gleiches gilt bei einem Erwerb zur anschließenden Verpachtung.

Schließlich ist das negative Merkmal kein Erwerb aus der Insolvenzmasse zu prüfen. Nach § 75 Abs. 2 AO kommt eine Haftung nicht in Bet...

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