Rz. 54

Die Vermögensgegenstände und Schulden sind zum Abschlussstichtag einzeln zu bewerten (§ 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB). Dieses Gebot ist Ausfluss des Grundsatzes der Einzelbewertung. Nach dem Grundsatz der Einzelbewertung sind jeder Vermögensgegenstand und jede Schuld für sich, also losgelöst von den anderen Vermögensgegenständen und Schulden, zu bewerten. Wertminderungen einzelner Vermögensgegenstände dürfen daher nicht mit Wertsteigerungen anderer Vermögensgegenstände ausgeglichen werden, wenn das nicht ausdrücklich gesetzlich angeordnet oder zugelassen ist, z. B § 246 Abs. 2 HGB. Darin spiegelt sich letztlich auch der Grundgedanke des HGB wider, das Vermögen am Abschlussstichtag und nicht einen Unternehmenswert zu ermitteln.[1]

Was hierbei als Vermögensgegenstand anzusehen ist, bestimmt sich nach wirtschaftlichen, nicht nach rechtlichen Gesichtspunkten. Rechtlich gehören z. B. Gebäude zum Grund und Boden, auf dem sie errichtet sind (§ 94 Abs. 1 BGB). Wirtschaftlich sind Gebäude und der Grund und Boden gesonderte Vermögensgegenstände. Grundlage der Einzelbewertung bildet die Identifizierung und Abgrenzung von/zwischen einzelnen Vermögensgegenständen und Schulden und damit die Frage nach der Selbstständigkeit dieser. Nicht selbständige bzw. nicht voneinander abgrenzbare Vermögensgegenstände und Schulden sind dann korrespondierend von einer getrennten Bewertung ausgeschlossen.

 

Rz. 55

So ist bei den Gebäuden[2] zu unterscheiden zwischen den unselbstständigen Gebäudeteilen, die einheitlich mit dem Gebäude zu bewerten sind, und den selbstständigen Gebäudeteilen, die als einzelne Wirtschaftsgüter getrennt vom Gebäude bewertet werden. Abgrenzungskriterium ist das Merkmal "Nutzungs- und Funktionszusammenhang".

Gebäudeteile, die

  • in einem einheitlichen Nutzungs- und Funktionszusammenhang mit dem Gebäude stehen, sind unselbstständige Teile des Gebäudes und mit diesem einheitlich abzuschreiben;
  • in einem von der eigentlichen Gebäudenutzung verschiedenen Nutzungs- und Funktionszusammenhang stehen, sind selbstständige Vermögensgegenstände oder Wirtschaftsgüter.

Anlagegegenstände, die eine geschlossene Anlage bilden, können statt in ihren einzelnen Teilen als Gesamtanlage erfasst und abgeschrieben werden.

Wie in allen anderen Grundsätzen, die in § 252 Abs. 1 HGB angeführt sind, gibt es auch vom Grundsatz der Einzelbewertung"begründete Ausnahmefälle": Nur in diesen Ausnahmefällen darf von diesen Grundsätzen und damit auch vom Grundsatz der Einzelbewertung abgewichen werden (§ 252 Abs. 2 HGB).

Das sind insbesondere die Fälle der

 

Rz. 56

Darüber hinaus sind Ausnahmen vom Einzelbewertungsgrundsatz auch möglich, sofern der Einzelbewertung ein unvertretbarer Zeit- und Kostenaufwand gegenüber steht (oder diese sogar unmöglich ist)[4] und damit keine Verschlechterung der Vermittlung eines den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bildes der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage verbunden ist. Derartige Fälle liegen etwa bei folgenden Sachverhalten vor:[5]

  • Garantierückstellungen,
  • Urlaubsrückstellungen,
  • Abschläge auf beschädigtes Vorratsvermögen,
  • Pauschalwertberichtigungen,
  • Pensionsrückstellungen.
[1] Vgl. Hoffmann/Lüdenbach, NWB Kommentar Bilanzierung, 12. Aufl. 2020, § 252 HGB Rz. 44.
[2] Vgl. zu den Herausforderungen bei Technischen Anlagen und Maschinen Kreipl/Müller, in Bertram/Brinkmann/Kessler/Müller, Haufe HGB Bilanz Kommentar, 10. Aufl. 2019, § 252 HGB Rz. 81 ff. oder s. "Technische Anlagen und Maschinen", Rz. 25 ff.
[4] Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1995–2000, § 252 HGB Rz. 57; ähnlich BFH, Urteil v. 15.10.1997, BStBl 1998 II S. 251; BFH, Urteil v. 17.2.1998, BStBl 1998 II S. 508.
[5] Liste aggregiert aus Baetge/Ziesemer/Schmidt, in Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht, § 252 HGB Rz. 129, Stand: 10/2011.

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