Rz. 49

Bei der Bewertung ist von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen, sofern dem nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstehen (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB). Solange also erwartet werden kann, dass ein Unternehmen auf unbestimmte Zeit fortgeführt wird, ist der Jahresabschluss unter dieser Prämisse aufzustellen.

Dieses Prinzip wird auch Going-Concern-Concept genannt. Es gehört zu den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung. Solange daher von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit ausgegangen werden kann, sind die Vermögensgegenstände und Schulden nach den §§ 253 bis 256a HGB zu bewerten.[1]

Unter Fortführung ist dabei nicht lediglich uneingeschränkte unternehmerische Aktivität sondern vielmehr – mitunter eingeschränkte oder ausgesetzte – Aktivität i. S. d. Unternehmenszwecks zu verstehen. Insofern gilt die Vermutung der Unternehmensfortführung – vorbehaltlich entgegenstehender rechtlicher oder tatsächlicher Gegebenheiten – auch für Mantelgesellschaften, ruhende Unternehmen und Vermögensverwaltungsgesellschaften. Tatsächliche Gegebenheiten, die einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit entgegenstehen, sind in erster Linie wirtschaftliche Schwierigkeiten, die voraussichtlich das Unternehmen zwingen werden, die Geschäftstätigkeit einzustellen oder seine Vermögensgegenstände außerhalb der normalen Geschäftstätigkeit zu veräußern.

Einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit entgegenstehende rechtliche Gegebenheiten sind insbesondere die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ein beantragter Abwicklungsvergleich oder gesetzliche Vorschriften oder Satzungsbestimmungen, welche die Auflösung und Abwicklung des Unternehmens vorschreiben. Hier muss aber hinzukommen, dass die Auflösung des Unternehmens tatsächlich beabsichtigt ist.[2]

 

Rz. 50

Die Going-Concern-Prämisse ist über das Handelsrecht hinaus auch im Steuer-, Insolvenz- und Gesellschaftsrecht verankert. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG etwa verlangt im Rahmen der Bewertung der als Betriebsvermögen anzusetzenden Wirtschaftsgüter – konkret beim Teilwertansatz – die Berücksichtigung der Annahme der Fortführung des Betriebs. Im Insolvenzrecht, das seiner Logik folgend den Umkehrfall regelt, liegt etwa gem. § 19 InsO dann eine Überschuldung[3] vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist überwiegend wahrscheinlich. In diesem Kontext ist jedoch zu beachten, dass der insolvenzrechtliche Fortführungsbegriff von jenem des HGB abweicht. Stehen Gegebenheiten der Unternehmensfortführung entgegen, so sind die Vermögensgegenstände unter Veräußerungsgesichtspunkten zu bewerten. Anlagen, die nicht veräußert werden können, sind auf den Schrottwert abzuschreiben, wobei eventuelle Demontagekosten noch mindernd zu berücksichtigen sind. Anlagen, deren Veräußerung als möglich erscheint, sind dem Umlaufvermögen zuzuordnen und entsprechend zu bewerten.[4]

Im Aktienrecht sieht § 91 Abs. 2 AktG vor, dass der Vorstand Maßnahmen zu treffen hat, um Entwicklungen früh erkennen zu können, die den Fortbestand der Gesellschaft gefährden.

 

Rz. 51

Der Gesetzgeber hat den Zeitraum für die Gültigkeit der Fortführungserwartung nicht konkretisiert. Angesichts der oftmals vorkommenden volatile Branchen (etwa IT, Mobile Applications und im Lichte politischer Unbeständigkeit mittlerweile u. U. sogar Energieversorgung) sowie der zunehmenden Bedeutung externer Einflüsse auf Unternehmen, stellt dies eine erhebliche Herausforderung dar. Auch die Fertigungsdauer (etwa sekundenschnelle Fertigung von Kleinteilen im Vergleich zur ggf. jahrelangen Fertigung von Kreuzfahrtschiffen) und Saisonabhängigkeit beeinflussen die Zeitraumerwägungen. Insofern ist auf einen unternehmensspezifischen, überschaubaren und hinreichend konkreten Zeitraum abzustellen. Da eine derart offene Definition in der Praxis aber nur bedingt praktikabel ist und die Pflicht zur jährlich revolvierenden Aufstellung die Bedeutung der Angaben in einem Jahresabschluss zumindest betreffend die Unternehmensfortführung begrenzt, kann bei einem 12-Monats-Zeitfenster ab dem Abschlussstichtag im Regelfall von einem entsprechenden Zeitraum gesprochen werden,[5] wobei für die Beurteilung der Abschlussstichtag bzw. letztlich der Zeitpunkt der Aufstellung unter Berücksichtigung wertaufhellender Sachverhalte maßgeblich ist.[6] Dies heißt aber keinesfalls, dass von diesem Zeitfenster nicht abgewichen werden darf. In Abhängigkeit der Situation des Unternehmens sind jederzeit Abweichungen möglich und mitunter auch geboten. Die verbreitet vertretene Auffassung, dass Abweichungen nach oben unkritisch, jene nach unten dagegen – wenn überhaupt – nur in extremen Ausnahmefällen gestattet sind,[7] ist letztlich trotz der höheren Unsicherheiten langfristiger Prognosen durch die klaren Vorgaben in IDW PS 270 zumindest für prüfungspflichtige Unternehmen zu übernehmen, wenn ein Versagensvermerk verhindert werden soll. Unternehmerisches Risiko ist stets gegeben...

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