Rz. 15

Der Grundsatz der Vollständigkeit ist in § 246 Abs. 1 HGB kodifiziert. Er regelt, was zu bilanzieren ist. Hieraus ergeben sich somit die Aktivierungs- und Passivierungsgebote. Im Jahresabschluss sind alle Vermögensgegenstände, Schulden, Rechnungsabgrenzungsposten, Aufwendungen und Erträge zu erfassen. Auszuweisen sind die Posten jedoch nur insofern, als sie zum Betriebsvermögen des Unternehmens gehören und wirtschaftliches Eigentum darstellen. Ausnahmen vom Vollständigkeitsgrundsatz sind erlaubt, wenn das Unternehmen z. B. gesetzlich eingeräumte Wahlrechte in Anspruch nimmt oder Einschätzungsspielräume nutzt.

Vollständigkeit bedeutet in der Bilanzierung: Alle Aktiva und Passiva sind der Menge nach ohne Ausnahme zu erfassen. Auch Güter, denen kein Wert zukommt, z. B. voll abgeschriebene Anlagevermögensgegenstände, sind zumindest mit einem Erinnerungswert festzuhalten.[1]

Nach § 246 Abs. 1 Satz 1 HGB hat der Jahresabschluss sämtliche Vermögensgegenstände, Schulden, Rechnungsabgrenzungsposten, Aufwendungen und Erträge zu enthalten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist.

Der Vollständigkeitsgrundsatz findet durch die Einschränkung "soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist" seine Grenzen in anderweitigen gesetzlichen Bestimmungen. So dürfen nach § 248 HGB nicht als Aktivposten ausgewiesen werden: Aufwendungen für die Gründung eines Unternehmens, Aufwendungen für die Beschaffung des Eigenkapitals, Aufwendungen für den Abschluss von Versicherungsverträgen, selbst geschaffene Marken, Drucktitel, Verlagsrechte, Kundenlisten oder vergleichbare immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens.[2]

 

Rz. 16

Ein entgeltlich erworbener Geschäfts- oder Firmenwert gilt als zeitlich begrenzt nutzbarer Vermögensgegenstand (§ 246 Abs. 1 Satz 4 HGB). Er wird damit gesetzlich als abnutzbarer Vermögensgegenstand fingiert. Soweit die für die Übernahme eines Unternehmens bewirkte Gegenleistung den Wert der einzelnen Vermögensgegenstände abzüglich der Schulden im Zeitpunkt der Übernahme übersteigt, ist dieser Unterschiedsbetrag in voller Höhe als entgeltlich erworbener Geschäfts- oder Firmenwert zu aktivieren. Das Verbot des Ansatzes eines selbst geschaffenen Geschäfts- oder Firmenwerts bleibt weiterhin bestehen.[3]

 

Rz. 17

Für die Bilanzierung bedeutet der Vollständigkeitsgrundsatz: Das Unternehmen hat ungekürzt auszuweisen:

  • alle Vermögensgegenstände,
  • alle Schulden,
  • alle Rechnungsabgrenzungsposten und
  • einen entgeltlich erworbenen Geschäfts- oder Firmenwert.
 

Rz. 18

Dabei sind die Vermögensgegenstände nicht immer dem rechtlichen Eigentümer zuzurechnen. Die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung gehen von wirtschaftlichen Tatbeständen aus. Hieraus kann sich ergeben, dass das rechtliche nicht mit dem wirtschaftlichen Eigentum übereinstimmt. Dem trägt § 246 Abs. 1 Satz 2 HGB Rechnung. Hiernach sind Vermögensgegenstände in der Bilanz des Eigentümers aufzunehmen. Ist jedoch ein Vermögensgegenstand nicht dem Eigentümer, sondern einem anderen wirtschaftlich zuzurechnen, hat dieser ihn in seiner Bilanz auszuweisen.

Die Bilanzierung der Vermögensgegenstände richtet sich also nach den in § 39 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AO verankerten Grundsätzen für Wirtschaftsgüter, wonach Vermögensgegenstände (Wirtschaftsgüter) grundsätzlich vom rechtlichen Eigentümer zu bilanzieren sind. Übt jedoch ein anderer als der Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über einen Vermögensgegenstand in der Weise aus, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf den Vermögensgegenstand wirtschaftlich ausschließen kann, so ist ihm der Vermögensgegenstand zuzurechnen. Wichtige Anwendungsfälle des wirtschaftlichen Eigentums sind:

  • Eigentumsvorbehalt,
  • Sicherungsübereignung,
  • Treuhand,
  • Pensionsgeschäfte und
  • Leasing.
[1] Vgl. Leffson, Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, 7. Aufl. 1987, S. 220.
[3] Begr. RegEntw., BT-Drucks. 16/10067 S. 47.

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