Leitsatz

Die 6. Richtlinie 77/388/EWG des Rats vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat verwehrt, auf Umsätze der im Ausgangsverfahren fraglichen Art zwischen verbundenen Parteien, die einen erkennbar unter dem normalen Marktpreis liegenden Preis vereinbart haben, eine andere Regel für die Bestimmung der Besteuerungsgrundlage als die in Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie vorgesehene allgemeine Regel anzuwenden, indem er die Anwendung der Regeln für die Bestimmung der Besteuerungsgrundlage für die Entnahme oder die Verwendung von Gegenständen oder die Erbringung von Dienstleistungen für private Zwecke des Steuerpflichtigen i.S.v. Art. 5 Abs. 6 und Art. 6 Abs. 2 dieser Richtlinie auf diese Umsätze erstreckt, obwohl dieser Mitgliedstaat nicht das Verfahren nach Art. 27 dieser Richtlinie befolgt hat, um die Ermächtigung zur Einführung einer solchen von der allgemeinen Regel abweichenden Maßnahme zu erhalten.

 

Normenkette

Art. 11 Teil A Abs. 1 und Art. 27 der 6. EG-RL

 

Sachverhalt

Am 31.12.1993 veräußerte Campsa mehrere im spanischen Hoheitsgebiet gelegene Tankstellen an eine verbundene Person zu einem Preis unter dem Marktpreis. Die Finanzverwaltung wollte eine nationale Regelung anwenden, die vor der Ermächtigung und der Regelung in Art. 11 Abs. 6 der 6. EG-RL i.d.F. der 2006/69/EG erlassen worden war, aber im Wesentlichen diesen Regelungen entsprach.

 

Entscheidung

Der EuGH entschied, dass Sondermaßnahmen, die vom Unionsrecht abweichen, nur dann mit dem Unionsrecht vereinbar sind, wenn sie die Kriterien des Art. 27 Abs. 1 der 6. EG-RL einhalten und der Kommission mitgeteilt worden sind, und wenn weiter der Rat gem. Art. 27 Abs. 1 bis 4 der 6. EG-RL seine stillschweigende oder ausdrückliche Ermächtigung dazu erteilt hat. Ein Mitgliedstaat kann nicht ohne Verletzung des EG/EU‐Vertrags einem Steuerpflichtigen eine vom System der RL abweichende Bestimmung entgegenhalten, die unter Verstoß gegen die den Mitgliedstaaten durch Art. 27 Abs. 2 dieser Richtlinie auferlegte Mitteilungspflicht erlassen wurde.

Liegt daher eine von der Richtlinie abweichende Sonderregelung vor, kommt es stets darauf an, ob diese von der Ermächtigung gedeckt ist. Insoweit sind sowohl der Zeitpunkt, ab dem oder für den die Ermächtigung erteilt worden ist, vor allem aber auch der Rechtsgrund, auf den die Ermächtigung gestützt worden ist, sowie der konkrete Inhalt der Ermächtigung von entscheidender Bedeutung.

 

Hinweis

Die Entscheidung ist für das nationale Recht (nur) von Bedeutung, weil sie Ausführungen zu den Grenzen der Wirkung einer Ermächtigung enthält.

Spanien erhielt am 15.05.2006 eine Ermächtigung zur Vermeidung von Steuerhinterziehungen und -umgehungen nach Art. 27 der 6. EG-RL. Danach war Bemessungsgrundlage bei Lieferungen, Dienstleistungen von Gegenständen der Normalwert (Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. d der 6. EG-RL), wenn die Gegenleistung deutlich niedriger ist als der Normalwert der betreffenden Leistung und deren Empfänger kein Recht auf vollen Abzug der Vorsteuer hat.

Art. 11 Teil A der 6. EG-RL wurde durch die RL 2006/69/EG des Rats vom 24.07.2006 u.a. um Abs. 6 erweitert. Danach können die Mitgliedstaaten zur Vorbeugung gegen Steuerhinterziehung oder -umgehung Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass die Besteuerungsgrundlage bei Lieferungen von Gegenständen oder bei Dienstleistungen der Normalwert ist, wenn die Gegenleistung, je nach den Umständen, höher oder niedriger als dieser Normalwert ist und wenn eine Bindung zwischen den Parteien des Umsatzes besteht. Mit Inkrafttreten der RL 2006/69/EG lief die dem Königreich Spanien nach der Entscheidung 2006/387 erteilte Ermächtigung ab. Dem Inhalt der Ermächtigung entspricht jetzt Art. 80 der RL 2006/112/EG des Rats vom 28.11.2006.

 

Link zur Entscheidung

EuGH, Urteil vom 09.06.2011 – C-285/10 – Campsa Estaciones de Servicio SA –

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