Leitsatz

Dem EuGH werden die folgenden Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Steht Art. 1 Abs. 1 der RL 2003/49/EG des Rats vom 03.06.2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten (ABlEU Nr. L 157, 49) – EU-Zins- und Lizenz-RL (ZLR) – einer Regelung entgegen, wonach die von einem Unternehmen eines Mitgliedstaats an ein verbundenes Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats gezahlten Darlehenszinsen bei dem erstgenannten Unternehmen der Bemessungsgrundlage für die GewSt hinzugerechnet werden?

2. Falls die erste Frage bejaht wird: Ist Art. 1 Abs. 10 ZLR dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten auch dann freisteht, die RL nicht anzuwenden, wenn die in Art. 3 Buchst. b ZLR genannten Voraussetzungen für das Vorliegen eines verbundenen Unternehmens zum Zeitpunkt der Zinszahlung noch nicht während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens zwei Jahren erfüllt waren? Können sich die Mitgliedstaaten in diesem Fall gegenüber dem zahlenden Unternehmen unmittelbar auf Art. 1 Abs. 10 ZLR berufen?

 

Normenkette

§ 8 Nr. 1 GewStG 2002, Art. 1 Abs. 1, 10 und 11, Art. 3 Buchst. b, Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und d EGRL 49/2003

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine GmbH, deren alleinige Anteilseignerin eine niederländische B.V. ist. Letztere gewährte der GmbH Darlehen über insgesamt 5 180 000 EUR zu einem Zinssatz von 5 %. Die Rückzahlung sollte auf Abruf der B.V. erfolgen. Die GmbH zahlte im Streitjahr 2004 dafür Zinsen i.H.v. 154 584 EUR, welche das FA gem. § 8 Nr. 1 GewStG a.F. zur Hälfte dem Gewinn aus Gewerbebetrieb hinzurechnete.

Die hiergegen erhobene Klage wies das FG ab (FG Münster, Urteil vom 22.02.2008, 9 K 5143/06 G, Haufe-Index 1979342, EFG 2008, 968).

 

Entscheidung

Der BFH äußert mit Blick auf die ZLR Zweifel an der Europarechtmäßigkeit der Hinzurechnung und ruft deswegen den EuGH zur Vorabentscheidung an.

 

Hinweis

1. Nach der bis 2007 geltenden Regelung in § 8 Nr. 1 GewStG wurden Entgelte für sog. Dauerschulden, insbesondere Dauerschuldzinsen, dem Gewinn aus Gewerbebetrieb als der gewerbesteuerlichen Bemessungsgrundlage zur Hälfte wieder hinzugerechnet. Es wird derzeit kontrovers diskutiert, ob diese Hinzurechnung gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen standhält. Der BFH hat deswegen an den EuGH ein entsprechendes Vorabentscheidungsersuchen gerichtet.

2. Nach Art. 1 Abs. 1 der EU-Zins- und Lizenzrichtlinie (ZLR) ist die RL auf grenzüberschreitende Zins- und Lizenzzahlungen innerhalb der EU anzuwenden, die zwischen Unternehmen i.S.d. Art. 3 Buchst. a ZLR erfolgen. Unternehmen in diesem Sinn sind die im Anhang zu Art. 3 Buchst. a ZLR aufgeführten Kapitalgesellschaften, die nach dem Steuerrecht eines Mitgliedstaats in diesem Mitgliedstaat ansässig sind, nach einem DBA auch nicht als außerhalb der EG ansässig gelten und einer der in Art. 3 Buchst. a (iii) ZLR bezeichneten Steuer unterliegen. Ferner ist für die Anwendbarkeit der ZLR erforderlich, dass eines der beiden Unternehmen unmittelbar mindestens zu 25 % am Nennkapital des anderen Unternehmens beteiligt ist oder dass beide Unternehmen Schwestergesellschaften sind und eine gemeinsame Muttergesellschaft haben, die am Nennkapital beider Unternehmen unmittelbar mindestens zu 25 % beteiligt ist.

3. Es ist kontrovers,

  • in sachlicher Hinsicht: ob die ZLR auch die Erhebung der GewSt verbietet und
  • in persönlicher Hinsicht: ob dem Quellenstaat nur die Besteuerung des empfangenden Unternehmens verboten wird oder ob sich das Verbot auch auf das zahlende Unternehmen erstreckt.

a) Zum ersten Punkt der sachlichen Erstreckung:

Dafür spricht, dass das Verbot ausdrücklich "alle Steuern" erfasst.

Dagegen spricht, dass die GewSt typischerweise nicht als "Quellensteuer" ausgestaltet ist.

b) Zum zweiten Punkt der persönlichen Erstreckung:

Gegen eine Erstreckung auch auf das zahlende Unternehmen spricht z.B., dass

  • "Einkünfte" i.S.d. Art. 1 Abs. 1 ZLR nur der Zahlungsempfänger haben kann;
  • nach Erwägungsgrund 1 das Ziel der ZLR die Vermeidung einer Benachteiligung der grenzüberschreitenden Finanzbeziehungen gegenüber rein innerstaatlichen Finanzbeziehungen ist und § 8 Nr. 1 GewStG sowohl bei einem reinen Inlandssachverhalt als auch bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt Anwendung findet, mithin keine Diskriminierung bewirkt;
  • nach Erwägungsgrund 2 das Ziel der ZLR die Vermeidung einer Doppelbesteuerung ist und es durch § 8 Nr. 1 GewStG nicht zu einer Doppelbesteuerung desselben Rechtssubjekts, sondern allenfalls zu einer Doppelbelastung kommt.

Für eine Erstreckung des Besteuerungsverbots auf das zahlende und das empfangende Unternehmen könnte demgegenüber z.B. sprechen, dass

  • in anderen Übersetzungen des RL-Textes dem Wortlaut nach nicht auf den Empfänger abgestellt wird. So wird z.B. in der englischen Übersetzung nicht der Begriff earnings oder income, sondern der Begriff payments verwendet, der sowohl aus Sicht des zahlenden als auch des empfangenden Unternehmens verwendet werden kann. Da...

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