Leitsatz

Die Vergleichsrechnung nach § 31 EStG, bei der geprüft wird, ob das Kindergeld oder der Ansatz der Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG für den Steuerpflichtigen vorteilhafter ist, wird für jedes Kind einzeln durchgeführt. Dies gilt auch dann, wenn eine Zusammenfassung der Freibeträge für zwei und mehr Kinder wegen der Besteuerung außerordentlicher Einkünfte nach § 34 Abs. 1 EStG (sog. Fünftelregelung) günstiger wäre.

 

Normenkette

§ 31, § 32 Abs. 6, § 34 Abs. 1 EStG, Art. 3 Abs. 1, Art. 14 GG

 

Sachverhalt

Der Kläger war als Architekt tätig gewesen und erzielte einen tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn von 140 000 DM. Die übrigen Einkünfte waren gering, das zu versteuernde Einkommen belief sich mit dem Veräußerungsgewinn auf 159 154 DM. Bei der Vergleichsrechnung nach § 31 EStG erwies sich der (doppelte) Kinderfreibetrag für die zwei Töchter des Klägers als günstiger. Nach Hinzurechnung des gezahlten Kindergelds von 6 480 DM setzte das FA eine Steuer von 31 716 DM fest.

Aufgrund einer Mitteilung über Einkünfte aus einer Fondsbeteiligung erging ein geänderter ESt-Bescheid; die Einkünfte des Klägers aus Kapitalvermögen erhöhten sich um 2 485 DM. Bei der für die beiden Töchter einzeln durchgeführten Vergleichsrechnung war nunmehr das Kindergeld günstiger als die Kinderfreibeträge. Die ESt erhöhte sich auf 39 106 DM.

Das FG gab der Klage statt und setzte die Steuer auf 34 590 DM herab, nachdem es das Einkommen um die Kinderfreibeträge für beide Kinder vermindert und die dadurch bewirkte Minderung der ESt dem gezahlten Kindergeld gegenübergestellt hatte. Eine Vergleichsrechnung für jedes einzelne Kind führe zu einer verfassungswidrigen Überbelastung.

 

Entscheidung

Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen, weil die Vergleichsrechnung nach § 31 EStG für die beiden Kinder des Klägers einzeln vorzunehmen war.

 

Hinweis

1. Die unsystematischen Belastungswirkungen der Fünftelregelung werden mitunter als Verstöße gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) oder gegen das Verbot einer konfiskatorischen Besteuerung (Art. 14 GG) gerügt. Dies hat Rechtsprechung und Literatur schon häufiger beschäftigt (zuletzt BFH, Urteil vom 22.09.2009, IX R 93/07, BFH/NV 2010, 296, BFH/PR 2010, 132, betr. a.o. Einkünfte und Progressionsvorbehalt).

2. Ob das Existenzminimum der Kinder durch das Kindergeld oder die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG von der Besteuerung freigestellt wird, entscheidet die sog. Günstigerprüfung. Werden danach die Freibeträge abgezogen, erhöht sich die ESt um das gezahlte Kindergeld (§ 36 Abs. 2 S. 1 EStG).

3. Die Günstigerprüfung wird für jedes Kind einzeln durchgeführt, beginnend beim ältesten. Dies rechtfertigt sich durch den Gesetzeswortlaut und ist für die Steuerpflichtigen regelmäßig günstiger als eine Vergleichsrechnung, bei der alle Kinder bzw. das für sie gewährte Kindergeld und die für sie zu beanspruchenden Freibeträge zusammengefasst werden, da die Entlastung durch Freibeträge für die jüngeren Kinder wegen des progressiven Tarifs abnimmt. Daneben kann sich die relative Entlastungswirkung der Freibeträge auch wegen des höheren Kindergelds für das dritte und weitere Kinder reduzieren.

4. Die nach § 34 Abs. 1 S. 2 EStG für die außerordentlichen Einkünfte anzusetzende Steuer beträgt das Fünffache des Unterschiedsbetrags zwischen der ESt für das um die a.o. Einkünfte verminderte zu versteuernde Einkommen (verbleibendes z.v.E.) und der ESt für das verbleibende z.v.E. zuzüglich eines Fünftels der a.o. Einkünfte. Die Begünstigungswirkung der Fünftelregelung ist daher umso größer, je geringer die nicht begünstigten Einkünfte sind. Deshalb kann die (potenzielle) Entlastung durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG für jüngere Kinder höher ausfallen als die für ältere und sich demzufolge eine "zusammengefasste" Vergleichsrechnung als vorteilhaft erweisen.

5. Wenn sich für zusätzliche Einkünfte eine hohe ESt-Belastung ergibt, so ist dies eine Folge des § 34 Abs. 1 EStG und verstößt weder gegen Art. 3 Abs. 1 noch gegen Art. 14 GG, da es auf die Belastung des gesamten zu versteuernden Einkommens ankommt. Ein derartiges Ergebnis braucht nicht durch eine alle Kinder zusammenfassende Günstigerprüfung "repariert" zu werden. Die einzeln und "nacheinander" durchzuführende Vergleichsrechnung bleibt auch dann zwingend, wenn sie im Zusammenhang mit der Fünftelregelung nachteilig ist.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 28.04.2010 – III R 86/07

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Finance Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge