Leitsatz

1. Die Freistellungsbescheinigung gemäß § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG ist Verwaltungsakt, aber nicht Steuerbescheid. Sie kann deshalb auch dann erteilt werden, wenn ein entsprechender Antrag erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist für die abzuführende Steuer gestellt worden ist.

2. Über die Erteilung einer Freistellungsbescheinigung ist auch auf Antrag des Vergütungsgläubigers materiell-rechtlich zu entscheiden.

 

Normenkette

§ 50d Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 EStG, § 155 Abs. 1 Satz 3 AO

 

Sachverhalt

Klägerin war eine dänische Kapitalgesellschaft, die im Streitjahr 1990 urheberrechtlich geschützte Architektenleistungen gegenüber einer inländischen GmbH erbrachte. Diese zahlte dafür die in Rechnung gestellte Nettovergütung und sah davon ab, Abzugsteuer gem. § 50a Abs. 4 Nr. 3 EStG einzubehalten, anzumelden und abzuführen. Als das FA die Steuer nachforderte, beantragte der dänische Auftraggeber beim BfF zunächst "die Erstattung von Abzugssteuern nach § 50a Abs. 4 Nr. 3 EStG", sodann – im September 1996 – die "Erteilung einer Freistellungsbescheinigung". Diesen letzteren Antrag lehnte das BfF wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist ab. Das FG folgte dem zwar, verpflichtete das BfF jedoch zu einer erneuten Verbescheidung hinsichtlich des früheren, noch unbeschieden gebliebenen Antrags.

 

Entscheidung

Der BFH schloss sich dem im Ergebnis, aber mit anderer Begründung an: Es verstand den streitgegenständlichen, vom BfF abgelehnten Antrag als einen solchen auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung gem. § 50d Abs. 3 S 1 EStG. Dieser Antrag sei von einem solchen, der auf eine Erstattung der vom Vergütungsschuldner abgezogenen Steuer gem. § 50d Abs. 1 S 2 EStG gerichtet sei, inhaltlich und verfahrensrechtlich abzugrenzen. Sei der erstattungsauslösende Freistellungsbescheid ein Steuerbescheid gem. § 155 Abs. 1 S 3 AO, sei die Freistellungsbescheinigung nur ein "schlichter" Verwaltungsakt. Folglich gälten hierfür keine Festsetzungsfristen.

 

Hinweis

Das Urteilsergebnis mag nicht jedermann als absolut zwingend erscheinen. Die Crux liegt insoweit aber in den weitgehend unzulänglichen gesetzlichen Vorgaben in § 50d EStG und den dortigen formal- und materiell-rechtlichen Unabgestimmtheiten zwischen einerseits der Abzugspflicht, der der Vergütungsschuldner des beschränkt steuerpflichtigen Vergütungsgläubigers nach nationalem Recht unterworfen ist, und andererseits der Steuerfreiheit der betreffenden Vergütungen auf Grund DBA. Der BFH hat versucht, diese Vorgaben gleichwohl "richtig" zu verstehen und in ein bündiges, in sich schlüssiges Konzept umzusetzen. Danach gilt nunmehr Folgendes:

1. Ist gem. § 44d EStG oder nach einem DBA ein Steuerabzug vom Kapitalertrag oder ein solcher Abzug gem. § 50a EStG nicht vorzunehmen oder ist der hiernach anzusetzende Steuersatz ein niedrigerer, dann bleibt der Vergütungsschuldner (aus fiskalischen Gründen) dennoch abzugsverpflichtet, § 50d Abs. 1 S 1 EStG.(Nur) der Vergütungsgläubiger (= der Steuerschuldner) kann allerdings einen Erstattungsanspruch gem. § 50d Abs. 1 S 2 EStG geltend machen. Das geschieht auf amtlichem Vordruck, im Allgemeinen gegenüber dem BfF (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 FVG). Dieses erlässt bei Vorliegen der Erstattungsvoraussetzungen einen Freistellungsbescheid, für den gem. § 155 Abs. 1 S 3 AO die Regeln über Steuerbescheide Anwendung finden, insbesondere also die Regeln über die Festsetzungsverjährung gem. §§ 169 ff. AO und die Änderungsvorschriften der §§ 172 ff. AO.

2. Unabhängig davon ist es sowohl dem Vergütungsgläubiger als auch dem Vergütungsschuldner in den Fällen des § 44d und des § 50a Abs. 4 EStG unbenommen, formlos eine Freistellungsbescheinigung gem. § 50d Abs. 3 S 1 EStG zu beantragen, ebenfalls beim BfF. Liegt eine solche Bescheinigung vor, dann kann der Steuerabzug von vornherein unterbleiben oder nach einem niedrigeren Steuersatz vorgenommen werden. Diese Bescheinigung stellt einen eigenständigen (begünstigenden) Verwaltungsakt dar, der strikt von jenem Freistellungsbescheid, auf dem der Erstattungsanspruch des Gläubigers beruht, zu unterscheiden ist. Er ist nicht den Regeln über Steuerbescheide unterworfen, kann also fristenunabhängig ergehen und nur nach Maßgabe von §§ 130, 131 AO geändert werden.

3. Als problematisch kann es sich erweisen, wenn die Bescheinigung erst nachträglich erteilt wird, nachdem die Steuer bereits abgezogen und eine entsprechende Steueranmeldung abgegeben wurde. Diese Steueranmeldung steht aber kraft Gesetzes unter Vorbehalt der Nachprüfung (§§ 167, 168 AO) und wäre deswegen bei Vorliegen der Bescheinigung zu ändern. Der Vorbehalt der Nachprüfung entfällt indes nach Ablauf der Festsetzungsfristen gem. §§ 169 ff. AO. Für eine Erstattung der abgeführten Beträge nach § 50d Abs. 1 EStG ist es dann – siehe oben unter 1. – zu spät. Der Praktiker fragt sich dann, ob die nachträgliche Bescheinigung unter derartigen Umständen schlechterdings leer läuft. Solches wird in der Tat vertreten (vgl. Buciek, IStR 2001, 102, 104), ist aber wohl falsch. Denn die strikte ...

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