Rz. 44

Für den deutschsprachigen Raum liegen verschiedene Studien vor, in denen das Aktivierungsverhalten in der Unternehmenspraxis untersucht wurde. Viele Studien beziehen sich auf die Bilanzierung nach IFRS;[1] es liegen nur wenige Untersuchungen für die Anwendung der HGB-Vorschriften vor.[2]

Die vorliegenden Studien zeigen im Ergebnis ein äußerst heterogenes Bilanzierungsverhalten bei Bilanzierung nach IFRS.[3] Zum einen wird festgestellt, dass eine Aktivierung selbst erstellter immaterieller Vermögenswerte keine Seltenheit ist; gut 50 % der untersuchten Unternehmen haben Entwicklungskosten aktiviert.[4] Zum anderen ist die Aktivierung stark von der Branche abhängig. Während in den Bilanzen von Automobilunternehmern i. d. R. interne Entwicklungskosten aktiviert werden, finden sich in den Bilanzen von Pharmaunternehmen kaum eigene Entwicklungskosten,[5]"obwohl die Gesamtausgaben für Forschung und Entwicklung in diesem Sektor eher hoch ausfallen".[6] Behrendt-Geisler/Weißenberger haben im Rahmen ihrer Untersuchung über eine branchentypische Aktivierung von Entwicklungskosten nach IAS 38 festgestellt, dass der Aktivierungszeitpunkt von der Branche bestimmt wird. Automobilhersteller haben einen vergleichsweise frühen Aktivierungszeitpunkt, gefolgt von der Medizintechnik, Software und Automobilzulieferern. Bei Pharmaunternehmen liegt der Aktivierungszeitpunkt sehr spät, weil die Wahrscheinlichkeit des Nutzenzuflusses erst mit der staatlichen Zulassung als gegeben betrachtet wird und die technische Realisierbarkeit durch die Wahrscheinlichkeit bestimmt wird, mit der ein Produkt die behördlichen Genehmigungsverfahren durchläuft.[7] Zudem hat die Untersuchung von Sommerhoff gezeigt, dass Unternehmen mit negativer Ertragslage ein signifikant höheres Aktivierungsvolumen aufweisen als Unternehmen mit positiver Ertragslage.[8]

 

Rz. 45

Das Aktivierungswahlrecht nach HGB anstelle des ursprünglichen Ansatzverbots ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass Unternehmen selbst entscheiden können, ob sie die Aufzeichnungs-, Dokumentations- und Nachweispflichten auf sich nehmen wollen oder nicht. Von Keitz/Wenk/Jagosch stellten fest, dass nur 5 von 42 untersuchten Unternehmen des DaxPlusFamily-Index selbst erstellte immaterielle Vermögensgegenstände aktivieren.[9] Philipps hat das Aktivierungsverhalten der 53 Unternehmen untersucht, die zum 31.12.2009 vorzeitig freiwillig einen Abschluss unter Beachtung der neuen BilMoG-Vorschriften erstellt haben. 6 von 53 Unternehmen haben Entwicklungskosten aktiviert, wobei zwischen 2 Unternehmen eine Konzernverbindung besteht und 3 Unternehmen einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag aufweisen.[10] Als Ursachen für die geringe Inanspruchnahme des Aktivierungswahlrechts werden bspw. die Schwierigkeiten der Erfassung im Rechnungswesen, die intendierte Übereinstimmung mit der Steuerbilanz, unerwünschte Informationen an Wettbewerber sowie unerwünschte Folgewirkungen, wie z. B. Ausschüttungssperre und passive latente Steuern, genannt.[11] Darüber hinaus könnte ein weiterer Grund für die Zurückhaltung bei der Aktivierung von Entwicklungskosten darin liegen, dass beim Rating durch Kreditinstitute aktivierte Entwicklungskosten nicht als Vermögensposten berücksichtigt werden, sondern vor dem Rating mit dem Eigenkapital verrechnet werden.[12]

[1] Vgl. im Überblick z. B. Behrendt-Geisler/Weißenberger, KoR 2012, S. 58; Haller/Froschhammer/Groß, DB 2010, S. 682; Wulf/Udun, KoR 2018, S. 173.
[2] Vgl. z. B. Eierle/Ther, DB 2018, S. 1741.
[3] Vgl. Velte, IRZ 2011, S. 357.
[4] Vgl. z. B. Hager/Hitz, KoR 2007, S. 208–209; Leifried/Pfanzelt, KoR 2004, S. 497.
[5] Vgl. z. B. Küting, PiR 2008, S. 315–323; Wulf, Immaterielle Vermögenswerte nach IFRS, 2008, S. 137–140.
[6] Haller/Froschhammer/Groß, DB 2010, S. 682.
[7] Vgl. Behrendt-Geisler/Weißenberger, KoR 2012, S. 58–66.
[8] Vgl. Sommerhoff, Die handelsrechtliche Berichterstattung über das selbsterstellte immaterielle Anlagevermögen im Vergleich zu internationalen Rechnungslegungsnormen, 2010, S. 240.
[9] Vgl. von Keitz/Wenk/Jagosch, DB 2011, S. 2448. Vergleichbares Ergebnis Bertram/Brinkmann/Kessler/Müller, Erfahrungsbericht BilMoG – Erkenntnisse für Abschlusserstellung und Abschlussadressaten, 2012, Rz. 161.
[10] Vgl. Philipps, StuB 2011, S. 206.
[11] Vgl. Hoffmann/Lüdenbach, NWB Kommentar Bilanzierung, § 255 HGB Rz. 205, Stand: Sept. 2021.
[12] Vgl. Oser, DATEV magazin 2/2012, S. 41; Spingler, WPg 2012, S. 638. Zu den Auswirkungen auf die Abschlussanalyse vgl. z. B. Wulf, ZPU 2010, S. 331–352.

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