Entscheidungsstichwort (Thema)

Organschaft zwischen Schwestergesellschaften, Vertrauensschutz, Steuersatz bei Speisenversorgung in einer Alteneinrichtung, abweichende Steuerfestsetzung

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Eine umsatzsteuerliche Organschaft ist mangels finanzieller Eingliederung nicht gegeben, wenn weder unmittelbar noch mittelbar mehr als 50% der Stimmrechte an der betroffenen Gesellschaft bestehen. Die Durchsetzung des Willens aufgrund einer Stimmbindungsvereinbarung reicht nicht aus. Ein Anspruch auf Vertrauensschutz nach § 176 AO besteht nicht, wenn der angefochtene USt-Bescheid noch vor der Änderung der BFH-Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der finanziellen Eingliederung erlassen wurde.

2) Umsätze aus der Speisenversorgung einer Alteneinrichtung unterliegen dem Regelsteuersatz von 19%, wenn keine Standardspeisen abgegeben werden, sondern eine komplette Versorgung der Bewohner unter Beachtung der von den behandelnden Ärzten vorgegebenen Ernährungskriterien erfolgt.

3) Ein Anspruch auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß BMF-Schreiben vom 5.7.2011, BStBl. I 2011, 703, besteht nicht, wenn der Steuerpflichtige im Vertrauen auf die bisherige Rechtslage keine schutzwürdigen Dispositionen getroffen hat.

 

Normenkette

UStG § 12 Abs. 1-2; AO § 163 S. 1, § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 3; UStG § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 02.12.2015; Aktenzeichen V R 15/14)

 

Tatbestand

Streitig ist im Rahmen der Umsatzsteuer(USt)-Festsetzungen für 2003 bis 2008, ob in den Streitjahren eine Organschaft zwischen der Seniorenzentrum B GmbH & Co. KG (B KG) als Organträgerin und der Klägerin als Organgesellschaft bestand, sowie ferner, ob Umsätze der Klägerin aus der „Speisenversorgung” einer von der B KG betriebenen Altenhilfeeinrichtung gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) dem ermäßigten Steuersatz unterliegen. Des Weiteren ist streitig, ob der Beklagte verpflichtet ist, die USt für 2003 bis 2008 im Hinblick auf die Übergangsregelung im Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 05.07.2011 (BStBl I 2011, 703) aus Billigkeitsgründen abweichend festzusetzen.

Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) mit Sitz in X. Gegenstand des Unternehmens ist laut den Angaben im Handelsregister die Übernahme von Verwaltungsarbeiten und Dienstleistungen in und für Altenpflegeheime, sowie die Erbringung von in diesen Bereichen anfallenden Nebenleistungen, sowie die Führung von Nebenarbeiten. Gesellschafterinnen der Klägerin waren in den Streitjahren Frau I E (E) und ihre Tochter N C (C) mit einer Beteiligung in Höhe von je 50 %. Bezüglich ihrer Beteiligungen an der Klägerin hatten E und C am 29.12.1998 für die Dauer von mindestens fünf Jahren eine sog. Stimmbindungsvereinbarung geschlossen, nach der beide Vertragsparteien zur Sicherstellung einer einheitlichen Unternehmenspolitik in den Gesellschafterversammlungen übereinstimmend mit ja oder mit nein zu stimmen hatten, wobei C ihr Stimmverhalten an der Stimmabgabe durch E auszurichten hatte. Zum 01.08.2011 übertrugen C und E jeweils 52 % ihrer Anteile an der Klägerin (zusammen 52 % der Gesellschaftsanteile an der Klägerin) auf die B KG (Urkundenrollen Nr. xxx/2011 und xxx/2011 des Notars N in D). Alleinige und einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführerin der Klägerin war in den Streitjahren C.

Die Klägerin erbrachte in den Streitjahren u.a. Dienstleistungen gegenüber der B KG, die in X eine Altenhilfeeinrichtung betrieb. Alleinige Kommanditistin der B KG war in den Streitjahren E. E war darüber hinaus alleinige Gesellschafterin und bis zum 23.10.2007 auch alleinige und einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführerin der … Verwaltungs GmbH (Verwaltungs GmbH), der einzelvertretungsberechtigten Komplementär GmbH der B KG. In der Gesellschafterversammlung der Verwaltungs GmbH vom 23.10.2007 wurde C als weitere einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführerin bestellt (Urkundenrolle Nr. xxx/2007 des Notars N in D).

Die Klägerin und die B KG schlossen am 29.06.1998 einen sog. „Speisenversorgungsvertrag”. Gegenstand dieses Vertrags, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, war die Lieferung von Mahlzeiten in der Altenhilfeeinrichtung A-Str. 00, 00000 X (Seniorenzentrum) gemäß einem als Anlage zu dem Vertrag genommenen sog. Leistungsverzeichnis. In diesem Leistungsverzeichnis wird u.a. Folgendes ausgeführt: „Die vereinbarte Leistung umfasst die komplette Verpflegung von zur Zeit 334 Bewohnern mit Speisen und Getränken nach Anweisung und in Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern des Auftraggebers. Der Auftraggeber teilt der H die Anzahl der täglich zu liefernden Portionen und ggf. die vom behandelnden Arzt vorgegebenen Ernährungskriterien der einzelnen Bewohner mit (…). (…) Die Verpflegung wird zusammengestellt (Tablettsystem) und auf Transportwagen geladen. Die Transportwagen werden vom Hol- und Bringedienst des Seniorenzentrums auf die Wohnbereiche gebracht bzw. wieder abgeholt. Zu folgenden Zeiten müssen die ...

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