Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückwirkende Erfassung von in 2008 zugeflossenen Erstattungszinsen gem. § 233a AO als Kapitaleinkünfte ernstlich zweifelhaft

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Die durch § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG rückwirkend angeordnete Steuerpflicht von Erstattungszinsen fügt sich nicht in das System der Nichtabziehbarkeit von Nachzahlungszinsen (§ 12 Nr. 3 EStG) und der Steuerfreiheit von Erstattungszinsen ein. Hebt der Gesetzgeber durch die isolierte Begründung der Steuerpflicht für Erstattungszinsen die nach der bisherigen gesetzgeberischen Grundentscheidung möglicherweise gebotene Gleichbehandlung von Erstattungs- und Nachzahlungszinsen wieder auf, hätte es wohl einer systematischen Klarstellung, Ergänzung oder Änderungen auch der Vorschriften des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 und § 12 Nr. 3 oder § 10 EStG bedurft. So bleibt unklar, ob § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG eine Spezialvorschrift zu § 12 Nr. 3 EStG sein kann.

2) Es ist nicht auszuschließen, dass § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG gegen das Rückwirkungsverbot verstößt.

 

Normenkette

EStG § 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 3, § 52 Abs. 8 S. 2, § 12 Nr. 3; AO § 233a

 

Tatbestand

I.

Zu entscheiden ist, ob ernstliche Zweifel an der Erfassung von Erstattungszinsen i.S.v. § 233a Abgabenordnung (AO) gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) i.d.F. des Jahressteuergesetzes (JStG) 2010 vom 08.12.2010 bestehen.

Die Antragstellerin wurde mit Bescheid vom 14.02.2011 auf der Grundlage ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2008 veranlagt. Die festgesetzte Einkommensteuer betrug 16.884 EUR. Bei der Festsetzung der Einkommensteuer berücksichtigte der Antragsgegner am 16. Dezember 2008 erstattete Zinsen für die Jahre 2001, 2002 und 2003 gem. § 233a AO i.H.v. insgesamt 2.212 EUR als Einnahmen aus Kapitalvermögen.

Hiergegen legte die Antragstellerin Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung unter Hinweis auf das Urteil des BFH vom 15.06.2010, VIII R 33/07, BStBl. II 2011, 503. Zur weiteren Begründung trug die Antragstellerin vor, dass das am 08.12.2010 erlassene JStG 2010 und die Vorschrift des § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG i.d.F. des JStG vom 08.12.2010 im Lichte der Beschlüsse des BVerfG vom 07.07.2010 zu den Verfahren 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05 und 2 BvR 1738/05, BStBl. II 2011, 86 und vom 07.07.2010 zu den Verfahren 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04 sowie 2 BvL 13/05, BStBl. II 2011, 76 hinsichtlich der steuerlichen Rückwirkung nicht im Einklang mit dem Grundgesetz stehe.

Der Antragsgegner lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 22.02.2011 unter Hinweis auf die Änderung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 3 EStG n.F. ab. Gem. § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010 sei diese gesetzliche Regelung in allen offenen Fällen anzuwenden.

Mit ihrem Antrag auf gerichtliche Aussetzung der Vollziehung verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren auf (Teil-) Aussetzung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides unter Hinweis auf ihren Vortrag im Verwaltungsverfahren weiter.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 2008 vom 14.02.2011 auszusetzen, soweit Erstattungszinsen i.H.v. 2.212 EUR als Einnahmen aus Kapitalvermögen erfasst sind.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Nach Auffassung des Antragsgegners bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheides. Das Urteil des BFH vom 15.06.2010 VIII R 33/07, a.a.O. sei auf einer anderen gesetzlichen Grundlage ergangen. Durch das JStG 2010 sei nun ausdrücklich geregelt, dass Erstattungszinsen Erträge i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG darstellten (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 3 EStG n.F.).

Gegen die Gesetzesänderung könnten auch keine durchgreifenden

verfassungsrechtlichen Einwände erhoben werden. Zwar könne es sich grundsätzlich um eine unzulässige echte Rückwirkung i.S.d. Rechtsprechung des BVerfG handeln, weil der streitgegenständliche Veranlagungszeitraum bei Ergehen der Neuregelung bereits abgeschlossen gewesen sei. Die rückwirkende Gesetzesänderung sei jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt, da damit eine unklare Rechtslage beseitigt oder aus sonstigen Gründen ein Vertrauen auf den Fortbestand der bisherigen Regelung nicht begründet gewesen sei (Beschluss des BVerfG vom 14.05.1986, 2 BvL, BStBl. II 1986, 628). Vorliegend habe die Steuerpflicht von Erstattungszinsen bis zum Ergehen des BFH-Urteils vom 15.06.2010 VIII R 33/07, a.a.O. – der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung entsprochen (z.B. BFH-Urteile vom 18.02.1975, VIII R 104/70, BStBl. II 1975, 568 und vom 08.11.2005 VIII R 105/ 03, BFH/NV 2006, 527). Es habe daher kein Vertrauen der Antragstellerin oder eines anderen Steuerpflichtigen in eine – von der gefestigten Rechtsprechung und Verwaltungsmeinung abweichenden – Rechtslage bestanden. Der Gesetzgeber sei daher berechtigt, das Gesetz entsprechend der bis zum BFH-Urteil vom 15.06.2010 VIII R 33/07, a.a.O. ständigen Rechtsprechung anzupassen (vgl. FG Münster Urteil vom 16.12.2010 5 K 3626/03 E, EFG 2011, 649, Rev. eingel. Az. des BFH VIII R 1/11)...

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