Entscheidungsstichwort (Thema)

Überholende Kausalität, Ingerenz und Pflichtwidrigkeitszusammenhang bei Steuerhinterziehung bzw. leichtfertiger Steuerverkürzung

 

Leitsatz (redaktionell)

Ist nicht das pflichtwidrige Handeln des Steuerpflichtigen, sondern letztlich ein fehlerhaftes Verwaltungshandeln maßgeblich für die eingetretene Steuerverkürzung, so scheidet eine Verlängerung der Festsetzungsverjährungsfrist nach § 169 Abs. 2 S. 2 aus.

 

Normenkette

AO § 175 Abs. 1 Nr. 1, § 169 Abs. 2 S. 2

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 23.07.2013; Aktenzeichen VIII R 32/11)

 

Tenor

1. Der Einkommensteueränderungsbescheid für 2001 vom 4. April 2007 und die Einspruchsentscheidung vom 27. Februar 2008 werden aufgehoben.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Kläger die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob die Änderung eines Steuerbescheides trotz Ablaufs der regulären Festsetzungsverjährungsfrist noch zulässig war.

Die Kläger werden vom Beklagten – dem Finanzamt (FA) – für das Streitjahr 2001 zur Einkommensteuer (ESt) zusammenveranlagt. Sie betreiben eine Arztpraxis in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, an der sie hälftig beteiligt sind. Die einheitliche und gesonderte Feststellung des Gewinns wird ebenfalls durch den Beklagten durchgeführt.

Die Kläger reichten ihre gemeinsame ESt-Erklärung für 2001 sowie die Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Feststellung der Einkünfte aus selbständiger Arbeit jeweils am 8. Oktober 2002 ein (Eingang beim FA). In der Feststellungserklärung gaben sie den Gewinn der Arztpraxis mit 444.249 DM an, den sie jeweils hälftig auf die beiden Beteiligten aufteilten. In der ESt-Erklärung verwiesen sie in der Anlage GSE auf die gesonderte Feststellung durch Angabe der dortigen Steuernummer und gaben die Einkünfte des Klägers mit 223.124 DM an, die der Klägerin dagegen unzutreffend nur mit 112.125 DM.

Der ESt-Bescheid 2001 wurde am 9. Oktober 2002 unter Übernahme der erklärten Beträge vom Bearbeiter gezeichnet und erging am 23. Oktober 2002 mit Ansatz der zu niedrigen Einkünfte der Klägerin.

Der Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte aus selbständiger Arbeit aus der Gemeinschaftspraxis erging am 22. Oktober 2002, bei mutmaßlicher Zeichnung am 10. Oktober 2002 (dieses Datum tragen die Mitteilungen). Die an die Veranlagungsstelle versandten Mitteilungen weisen für den Kläger wie für die Klägerin zutreffend Einkünfte von je 223.124 DM aus. Beide tragen den nicht datierten Bearbeitungsvermerk „ohne steuerliche Auswirkung”, „ber. angesetzt” und das Namenszeichen des auswertenden Bearbeiters. Insoweit erging zunächst kein ESt-Änderungsbescheid. Erst aufgrund einer anderen Mitteilung vom 6. Mai 2003 über Beteiligungseinkünfte des Klägers in Höhe von 134 DM änderte das FA am 26. Mai 2003 den Einkommensteuerbescheid vom 23. Oktober 2002. Dieser berücksichtigte nur die Mitteilung vom 6. Mai 2003 und nahm auf diese Bezug, nicht jedoch die anderen beiden Mitteilungen.

Bei einer internen Prüfung des Falls wurde der zu niedrige Ansatz bei der Klägerin festgestellt. Die zur ESt-Veranlagung bestimmte Arbeitseinheit erhielt mit Schreiben der Betriebsprüfungsstelle vom 30. Januar 2007 hiervon Kenntnis. Das FA stellte sich auf den Standpunkt, die Festsetzungsfrist betrage wegen zumindest leichtfertiger Steuerverkürzung 5 Jahre und erließ unter dem 4. April 2007 einen nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) geänderten ESt-Bescheid, in dem die Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Arbeit nunmehr mit 223.124 DM angesetzt sind.

Die Kläger wandten im Einspruchsverfahren ein, die Festsetzungsverjährung betrage 4 Jahre und sei bei Erlass des Änderungsbescheides bereits abgelaufen gewesen. Dagegen wies das FA darauf hin, dass der falsche Ansatz hätte auffallen und daher nach § 153 AO dem FA angezeigt werden müssen. Das FA wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 27. Februar 2008 zurück.

Mit ihrer Klage tragen die Kläger weiter vor,

der falsch angegebene Betrag gründe in einer Ziffernverschiebung auf der Tastatur. Dieser Fehler sei bei der Abgabe der ESt-Erklärung weder ihnen noch ihrem Steuerberater aufgefallen. Eine fahrlässige Steuerverkürzung liege nicht vor, weil es sich bei der Angabe in der ESt-Erklärung nur um eine vorläufige handele. Entscheidend sei die Angabe in der Feststellungserklärung. Letztere sei zutreffend erfolgt. Der entscheidende Fehler sei also offensichtlich dem FA unterlaufen.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

den ESt-Änderungsbescheid für 2001 vom 4. April 2007 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 27. Februar 2008 aufzuheben.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es bezieht sich im Wesentlichen auf die EE, auf die verwiesen wird. Die Beteiligten haben au...

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