Entscheidungsstichwort (Thema)

Anschaffungskosten als anschaffungsnahe Herstellungskosten. Anwendungsvorrang des § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG vor § 255 HGB

 

Leitsatz (redaktionell)

1. § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG erfasst auch Aufwendungen, die geleistet werden, um einen erworbenen Vermögensgegenstand in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen, und die daher gem. § 255 Abs. 1 HGB zu den Anschaffungskosten gehören. Die Vorschrift führt also nicht nur zu einer Umqualifizierung von Erhaltungsaufwendungen, sondern darüber hinaus auch von Anschaffungskosten zu Herstellungskosten. Insofern ist die steuerliche Vorschrift lex specialis und genießt Anwendungsvorrang vor § 255 HGB.

2. Die von der früheren Rspr.um sog. anschaffungsnahen Aufwand herausgebildeten Grundsätze können für die Auslegung des § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG herangezogen werden.

 

Normenkette

EStG § 21 Abs. 1 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Sätze 1, 3 Nr. 7, Abs. 5 S. 2, § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, § 6 Abs. 1 Nr. 1a; HGB § 255 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 14.06.2016; Aktenzeichen IX R 15/15)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Der Kläger wurde im Streitjahr 2008 zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielten jeweils Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen sowie aus Vermietung und Verpachtung mehrerer Objekte. Zudem erzielte der Kläger Einkünfte aus Gewerbebetrieb.

Im August 2008 erwarben der Kläger und seine Ehefrau ein Grundstück, bebaut mit einem – zuvor von den bisherigen Eigentümern bewohnten – Einfamilienhaus. Der Kaufpreis betrug 275.000 EUR. Die Anschaffungsnebenkosten beliefen sich auf 22.155 EUR. Ab Dezember vermieteten sie das Haus an ihren Sohn. Zwischenzeitlich nahmen sie Renovierungen vor. Unter anderem ließen sie alle Fenster austauschen und sonstige Sanierungsarbeiten durchführen.

In der Einkommensteuererklärung 2008 machten der Kläger und seine Frau bei ihren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung betreffend das o. g. Objekt 17.850 EUR für den Austausch der Fenster als Anschaffungskosten und 16.616,96 EUR für sonstige Sanierungsarbeiten als Erhaltungsaufwand geltend.

Das Finanzamt erkannte die 16.616 EUR für Sanierungsarbeiten nicht als Erhaltungsaufwand an, sondern berücksichtigte sie als anschaffungsnahen Herstellungsaufwand, weil sie zusammen mit den Aufwendungen für die Fenster die 15 %-Grenze des § 6 Abs. 1 Nr. 1a Einkommensteuergesetz (EStG) überstiegen.

Der Einspruch hatte nur teilweise Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 15. Mai 2012). Das Finanzamt folgte dem Kläger und seiner Frau lediglich darin, dass die Anschaffungskosten für Grund und Boden nicht – wie bisher angenommen – 190.000 EUR, sondern nur 170.115 EUR betragen. Im Übrigen ging das Finanzamt davon aus, dass der Zustand der Fenster entgegen der Ansicht des Klägers eine Vermietung des Hauses zuließ und daher die Aufwendungen für ihren Austausch keine Anschaffungskosten seien. Zur Begründung stützte sich das Finanzamt u. a. darauf, dass der Kläger und seine Frau auf die Anforderung, die geltend gemachte Unvermietbarkeit anhand von Inseraten nachzuweisen, lediglich erklärten, die Suche nach einem Mieter als erstes über persönliche Kontakte betrieben zu haben.

Seine Klage begründet der Kläger im Wesentlichen wie folgt:

Die Aufwendungen für den Austausch der Fenster in Höhe von 17.850 EUR seien als Anschaffungskosten anzusetzen und vom Erhaltungsaufwand für Modernisierungsmaßnahmen abzugrenzen. Es handele sich um Aufwendungen zur Herstellung der Funktionsbereitschaft gem. § 255 Abs. 1 Handelsgesetzbuch (HGB). Bereits beim Kauf des Objekts hätten er und seine Frau erkannt, dass die vorhandenen Fenster nicht mehr zu gebrauchen seien und daher zusätzlich zum Kaufpreis noch Aufwendungen anfielen. Die Fenster seien bereits fünfundzwanzig Jahre alt gewesen und hätten den Anforderungen für Wärme-, Kälte- und Windschutz nicht mehr entsprochen. Schlechte Fenster kämen der Wirkung nach fehlenden Fenstern gleich. Ohne neue Fenster sei das Objekt nicht für Zwecke der Vermietung funktionsbereit gewesen. Dafür spreche auch, dass die Veräußerung vor dem Wintereinbruch erfolgte. Nur ein das Gebäude selbst bewohnender Eigentümer würde solche Fenster in Kauf nehmen. Mieter hingegen achteten aufgrund der Preissteigerungen genau auf die laufenden Energiekosten. Im Zeitpunkt der Anschaffung des Objekts sei bereits ein Nutzungswechsel von der Eigennutzung zur Vermietung geplant gewesen. Die Aufwendungen für die Erreichung der neuen Funktion und der Erfüllung der Anforderungen und Bedürfnisse möglicher Mieter stellten Anschaffungskosten dar. Auf den Wohnstandard komme es im Streitfall nicht an, da das Haus nicht betriebsbereit gewesen sei.

Zur Bekräftigung seines Vorbringens legte der Kläger eine Bestätigung des mit dem Austausch der Fenster beauftragten Unternehmens vom 27. Juli 2012 vor, wonach die alten Fenster des Objekts verfault gewesen seien.

Mit Bescheid vom 17. Juli 2012 änderte das Fina...

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