Entscheidungsstichwort (Thema)

Wohnsitz des Kindes während eines mehrjährigen Auslandsaufenthalts zu Ausbildungszwecken, Verfassungsmäßigkeit von § 63 Abs. 1 S. 3 EStG, Spätaussiedler

 

Leitsatz (redaktionell)

1.) Die Anknüpfung der Kindergeldberechtigung an einen Wohnsitz im Inland oder einem EU/EWR-Staat ist auch bei Kindern mit deutscher Staatsangehörigkeit verfassungsgemäß.

2.) Ein Kind, das sich für Ausbildungszwecke für mehrere Jahre im Ausland aufhält, behält seinen inländischen Wohnsitz auch bei beabsichtigter Rückkehr nach Beendigung der Ausbildung nur dann bei, wenn es sich in allen unterrichtsfreien Zeiten, mindestens aber für drei Monate im Kalenderjahr, im Inland aufhält. Ob dem Steuerpflichtigen oder dem Kind die Heimreisen ins Inland finanziell möglich sind, ist unbeachtlich.

3.) § 7 Abs. 1 des Bundesvertriebenengesetzes - BFVG - enthält für Spätaussiedler keine klagbaren Ansprüche, insbesondere keinen Anspruch auf Änderung der für alle inländischen überschränkt Steuerpflichtigen geltenden Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kindergeld nach den §§ 62 ff. EStG.

 

Normenkette

EStG § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 70 Abs. 2; AO § 8; GG Art. 6 Abs. 1; BFVG § 7 Abs. 1; EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Streitig ist die Berechtigung der Beklagten, die ursprünglich zu Gunsten der Klägerin erfolgte Festsetzung von Kindergeld für ihren am 00.00.1986 geborenen Sohn B ab Oktober 2002 bis einschließlich Juli 2005 aufzuheben und das für die Monate Oktober 2002 bis Februar 2003 in Höhe von insgesamt 770 EUR ausgezahlte Kindergeld zurückzufordern.

Die Klägerin und ihr Sohn sind deutsche Staatsangehörige, die im Juli 1998 aus U/ Russische Föderation ausgereist und hier im selben Jahr als Spätaussiedler bzw. deren Abkömmling anerkannt worden sind. Die Klägerin bezog ab Juli 1998 Kindergeld für den Sohn. Im Rahmen eines Datenabgleichs mit dem Einwohnermeldeamt der Stadt L wurde der Beklagten bekannt, dass der Sohn am 20. September 2002 als nach Russland verzogen abgemeldet worden ist.

Im Rahmen des Anhörungsverfahrens gab die Klägerin an, B habe bei seiner Einreise ausschließlich russisch gesprochen und äußerst große Probleme bei der Integration in sprachlicher Hinsicht gehabt. Daher habe sich schon deswegen eine Ausbildung in russischer Sprache empfohlen, zumal es den konkret besuchten Ausbildungsgang im Inland nicht gebe. Der Sohn besuche in Russland die Berufsschule und bringe damit seinen vor der Wohnsitznahme in Deutschland begonnenen Schulbesuch zum Abschluss. Er sei bei seiner Schwester untergebracht. Die Abmeldung beim Einwohnermeldeamt sei wegen des Weiterbezugs von Leistungen nach dem BSHG durch die Klägerin erfolgt.

Mit einem auf § 70 Abs. 2 EStG gestützten Bescheid vom 11. November 2003 hat die Beklagte die Festsetzung von Kindergeld für den Sohn B mit Wirkung ab Oktober 2002 aufgehoben und zugleich das für die Monate Oktober bis Februar 2003 gezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 770 EUR zurückgefordert. Zur Begründung hat die Beklagte angeführt, das Kind besitze weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Dies sei insbesondere daraus zu schließen, dass eine Integration nicht möglich gewesen sei.

Den dagegen eingelegten Einspruch vom 12. Dezember 2003 begründete die Klägerin trotz entsprechender Aufforderung nicht. Die Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 27. April 2004 – dem jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt per Empfangsbekenntnis am 4. Mai 2004 – unter Wiederholung der Begründung zum angefochtenen Bescheid als unbegründet zurück.

Daraufhin hat die Klägerin am 4. Juni 2004 die vorliegende Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt, für die Zeit der Ausbildung des Sohnes in Russland Kindergeld zuerkannt zu bekommen.

Der Sachverhalt stellt sich nach Aufklärung durch den Berichterstatter und Durchführung eines Erörterungstermins unter informatorischer Anhörung des Sohnes wie folgt dar:

Der Sohn hat – ausweislich seines Diploms vom 2. Juli 2005 – vom 1. September 2002 bis zum 16. Juni 2005 den Status eines Auszubildenden in der Fachrichtung Schweißer an der Berufsschule Nr. 23 in U gehabt. Er hat diese Ausbildung mit dem Abschluss der allgemeinen Mittelschule und einer beruflichen Grundausbildung in der Berufsrichtung „Schweißer (Elektroschweiß- und Gasschweißarbeiten)” absolviert. Ihm wurde zugleich die Qualifikation in der Berufsrichtung „Elektrogasschweißer 4. Lohngruppe” zuerkannt. Dieser Schulabschluss wurde von der Bezirksregierung L am 18.8.2005 als der Fachoberschulreife gleichwertig anerkannt.

Die im folgenden geschilderten Wohnverhältnisse sind zwischen den Beteiligten unstreitig (siehe Protokoll des Erörterungstermins vom 19.10.2006– Bl.156 ff der FG-Akte–).):

Die Klägerin hat in L zunächst mit ihrem damaligen Mann und dem Sohn in einer 3-Zimmer-Wohnung gelebt. Nachdem der Sohn im September 2002 nach Russland gefahren war, ließ sich die Klägerin nach dem dann eingeleiteten Trennungsjahr scheiden. Nach dem Tod ihres Vaters kümmerte sich die K...

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