Revision eingelegt (BFH I R 29/17)

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Besteuerung von Streubesitzdividenden: Verfassungsmäßigkeit des § 8b Abs. 4 KStG - Verfassungsmäßigkeit des § 9 Nr. 2a GewStG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Besteuerung von Streubesitzdividenden gemäß § 8b Abs. 4 KStG in der Fassung des Gesetzes vom 21.03.2013 begegnet Bedenken im Hinblick auf eine nicht folgerichtige Ausgestaltung der in § 8b Abs. 1, Abs. 2 KStG zum Ausdruck kommenden Grundentscheidung des Gesetzgebers, zur Vermeidung von Kumulationseffekten in Beteiligungsstrukturen erwirtschaftete Gewinne nur einmal bei der erwirtschaftenden Körperschaft mit Körperschaftsteuer und erst bei der Ausschüttung an natürliche Personen als Anteilseigner mit Einkommensteuer zu besteuern.

2. Die Regelung entspricht zudem nicht dem Gebot steuerlicher Lastengleichheit im Sinne einer gleich hohen Besteuerung bei gleicher Leistungsfähigkeit.

3. Die Regelung kann allerdings gerechtfertigt und damit verfassungsrechtlich zulässig sein, um nicht über die Anforderungen der Mutter-Tochter-Richtlinie hinauszugehen, nach der erst bei einer Mindestbeteiligung von 10 % eine Befreiung vom Steuerabzug an der Quelle für von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschüttete Gewinne verlangt wird. Zudem würde eine vollständige Befreiung vom Steuerabzug unabhängig von der Beteiligungsquote die Möglichkeit eines Quellensteuerabzugs entsprechend Art. 10 Abs. 2 OECD-Musterabkommen und entsprechender Doppelbesteuerungsabkommen obsolet machen. Die Abgrenzung der Besteuerungshoheit zu anderen Staaten und die Anforderungen aus Art. 3 Abs. 1 GG begründen einen vom Gesetzgeber zu lösenden Zielkonflikt, für den keine eindeutige Lösung vorgegeben ist. Eine Vorlage an das BVerfG zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit kommt daher nicht in Betracht.

4. § 9 Nr. 2a GewStG begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Für die verfassungsrechtliche Prüfung der konkreten Ausgestaltung der Gewerbesteuer, insbesondere der Hinzurechnungs- und Kürzungsvorschriften, ist ein noch zu entwickelnder Maßstab anzuwenden, der dem Konzept einer ertragsorientierten Objektsteuer entspricht.

 

Normenkette

KStG § 8b Abs. 4; GewStG § 9 Nr. 2a; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 100 Abs. 1; BVerfGG § 80

 

Tatbestand

Streitig ist, ob Dividendeneinnahmen der Klägerin aus einer Beteiligung von weniger als 10 % zu Recht gemäß § 8b Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG), § 9 Nr. 2a des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) der Besteuerung mit Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer unterworfen worden sind.

Die Klägerin ist seit 2006 an der ... AG (AG) beteiligt, und zwar zunächst mit ... von ... Aktien des Grundkapitals (9,6 %) und seit einer Kapitalerhöhung gemäß Beschluss vom ... 2013 mit ... von ... Aktien (8,4%). Am 02.10.2013 erhielt die Klägerin aus dieser Beteiligung Dividendeneinnahmen i. H. v. ... €. Mit Bescheiden vom 30.03.2015 über Körperschaftssteuer für 2013 und über den Gewerbesteuermessbetrag für 2013 setzte der Beklagte die Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag erklärungsgemäß auf der Grundlage eines zu versteuernden Einkommens bzw. eines Gewinns aus Gewerbebetrieb i. H. v. ... € unter Einbeziehung dieser Dividendeneinnahmen fest.

Die Klägerin hat gegen diese Bescheide am 04.05.2015 Sprungklage erhoben, der der Beklagte (nach Zustellung der Klage am 10.07.2015) am 29.07.2015 zugestimmt hat.

Die Klägerin ist der Auffassung, die von ihr erzielten Dividendeneinnahmen seien gemäß § 8b Abs. 1, Abs. 5 KStG zu 95 % und damit in Höhe von ... € bei der Ermittlung des Einkommens für die Festsetzung der Körperschaftsteuer wie für die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags außer Ansatz zu lassen. Die Versteuerung der Dividendeneinnahmen gemäß § 8b Abs. 4 KStG, § 9 Nr. 2a GewStG sei rechtswidrig. Die Regelung über die Besteuerung sogenannter Streubesitzdividenden verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und sei daher verfassungswidrig. Mit der Einfügung von § 8b Abs. 4 KStG durch das Gesetz vom 21.03.2013 habe der Gesetzgeber auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 20.10.2011, C-284/09 reagiert. Der EuGH hatte es in der Entscheidung für unionsrechtswidrig erklärt, wenn bei Nichterreichen der Mindestbeteiligung der Muttergesellschaft gemäß den Richtlinien 90/435/EWG und 2003/123/EG (Mutter-Tochter-Richtlinie nebst Änderung) Dividendenausschüttungen an Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten einer höheren Besteuerung unterworfen werden als Dividenden an Gesellschaften mit Sitz im Inland, wie es nach der damaligen Regelung in § 43b des Einkommensteuergesetzes (EStG) zur Möglichkeit einer Erstattung der Kapitalertragsteuer bei Vorliegen einer Mindestbeteiligung der Fall war. Die Klägerin verweist darauf, im Gesetzgebungsverfahren sei zunächst vorgesehen gewesen, die Steuerbefreiung unabhängig von einer Beteiligungsquote auch für ausländische Anteilseigner einzuführen. Dies sei jedoch letztlich nicht Gesetz geworden, sondern es sei die Besteue...

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