Entscheidungsstichwort (Thema)

Insolvenzanfechtung: Keine Rückforderung an die Insolvenzmasse erstatteter Beträge durch Verwaltungsakt – Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs nach § 37 Abs. 2 AO

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Hat das Finanzamt in Befolgung einer – vermeintlich oder tatsächlich - sich aus § 143 Abs. 1 InsO (Insolvenzanfechtung) ergebenden, bürgerlich – rechtlichen Verpflichtung Steuerbeträge an die Insolvenzmasse erstattet, ist die Rückforderung dieser Beträge nicht durch Verwaltungsakt, sondern im ordentlichen Rechtsweg zu verfolgen.
  2. Die Erstattung von Vermögensverschiebungen außerhalb des Steuerrechtsverhältnisses kann nicht unter Hinweis auf § 37 Abs. 2 AO verlangt werden.
 

Normenkette

AO § 37 Abs. 2; InsO § 143 Abs. 1; BGB § 812

 

Tatbestand

Kläger ist der Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren der B GmbH (GmbH). Die von der GmbH für März 2009 und April 2009 angemeldeten Lohnsteuerbeträge hatte der Beklagte aufgrund einer erteilten Lastschrift zu den Fälligkeitsterminen eingezogen. Auf Antrag der GmbH vom 9.6.2009 wurde am 1.9.2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger focht als Insolvenzverwalter die Lohnsteuerzahlungen an. Der Beklagte erstattete deswegen die vereinnahmten Beträge zur Insolvenzmasse. Nach erneuter Überprüfung des Sachverhaltes gelangte der Beklagte zu der Erkenntnis, dass die Voraussetzungen einer Insolvenzanfechtung nicht vorgelegen hätten und deswegen die Insolvenzmasse keinen Erstattungsanspruch gem. § 143 Abs. 1 Insolvenzordnung (InsO) gehabt habe. Mit auf § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) gestütztem Rückforderungsbescheid vom 15.4.2011 forderte er den Kläger zur Rückzahlung der an die Insolvenzmasse erstatteten Beträge auf. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom 23.8.2012) trägt der Kläger zur Begründung seiner Klage unter anderem vor:

Der Beklagte habe den Rückforderungsanspruch nicht durch Verwaltungsakt festsetzen dürfen, weil es sich nicht um einen öffentlich rechtlichen Anspruch handele. So wie der Insolvenzverwalter seinen Anspruch aus § 143 InsO auf Erstattung anfechtbarer Zahlungen vor den ordentlichen Gerichten verfolgen müsse, müsse der Beklagte die Rückgewähr des zur Erfüllung eines solchen Anspruches Geleisteten im Wege des Zivilrechts geltend machen. Für den Rechtsweg könne es keinen Unterschied machen, ob der Insolvenzverwalter seinen Anspruch aktiv verfolge oder ob er sich gegen die (unberechtigte) Rückforderung des Finanzamtes wehre.

Der Kläger beantragt,

den Rückforderungsbescheid vom 15. 4 2011 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt er unter anderem vor:

Die Rückforderung sei zu Recht auf § 37 Abs. 2 AO gestützt worden. Es seien (Lohn-) Steuern ohne rechtlichen Grund zurück gezahlt worden, denn eine Verpflichtung aus § 143 Abs. 1 InsO habe nie bestanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet. Der angefochtene Rückforderungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO – ).

Die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch von § 37 Abs. 2 AO sind nicht erfüllt.

Ist eine Steuer, eine Steuervergütung, ein Haftungsbetrag oder eine steuerliche Nebenleistung ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, besteht gegenüber dem Leistungsempfänger gem. § 37 Abs. 2 AO ein Erstattungsanspruch. Gleiches gilt, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung oder Rückzahlung später wegfällt, § 37 Abs. 2 Satz 2 AO.

Erstattung im Sinne von § 37 AO bedeutet die Rückzahlung von ohne rechtlichen Grund zur Erfüllung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gezahlter/zurückgezahlter Geldbeträge durch den Leistungsempfänger an denjenigen, auf dessen Rechnung die Leistung bewirkt worden war (Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung Kommentar, § 37 AO Rz. 15; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung § 37 AO, Rz. 22). Der Erstattungsanspruch bezweckt den Ausgleich ungerechtfertigter Vermögensverschiebungen, die mit dem materiellen Steuerrecht nicht übereinstimmen (Drüen in Tipke/Kruse, § 37 AO Rz. 16). Voraussetzung für das Entstehen eines Erstattungsanspruches ist die vorherige Erfüllung eines Zahlungs – oder Rückzahlungsanspruches aus dem Steuerschuldverhältnis ohne rechtlichen Grund oder nach späterem Wegfall des rechtlichen Grunds. (Drüen in Tipke/Kruse, § 37 AO Rz. 16).

Ein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO entsteht nicht schon allein deshalb, weil eine Vermögensverschiebung zwischen einem Finanzamt und einer Privatperson erfolgt ist und dafür ein rechtlicher Grund nicht bestanden hat oder später fortgefallen ist. Die Vorschrift dient nicht dazu, Erstattungsansprüche ungeachtet des konkreten Lebenssachverhaltes in das öffentliche Recht zu transformieren (Krumm, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht – ZIP – 2012, 959). § 37 Abs. 2 AO ist vielmehr eine für das Steuerrecht spezialgesetzliche Konkretisierung des allgemeinen öffentlich rechtlichen Erstat...

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