Entscheidungsstichwort (Thema)

Häusliches Arbeitszimmer eines Richters ist nicht der Mittelpunkt seiner beruflichen Tätigkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Die Frage, ob das Arbeitszimmer den Tätigkeitsmittelpunkt darstellt, spielt nach der Neuregelung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG durch das JStG 2010 nur für die Höhe des Abzugs eine Rolle und setzt voraus, dass kein anderer Arbeitsplatz vorhanden ist (gegen BMF-Schreiben vom 2. 3. 2011, BStBl I 2011, 195, Rz 1).
  2. Für die Jahre 2007 bis 2009 ist allerdings in verfassungskonformer Interpretation der rückwirkend geltenden Neuregelung davon auszugehen, dass Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer auch abzugsfähig sind, wenn dieses den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildete.
  3. Das häusliche Arbeitszimmer eines Richters bildet nicht den Mittelpunkt seiner gesamten beruflichen Tätigkeit.
 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b, § 9 Abs. 5 S. 1, § 52 Abs. 12 S. 9

 

Streitjahr(e)

2008

 

Tatbestand

Die Kläger werden für das Streitjahr 2008 als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist als Richter nichtselbständig tätig. Daneben erzielte er in geringem Umfang steuerpflichtige Einkünfte aus selbständiger Arbeit aus einer Schiedsgerichtssache sowie steuerfreie Einkünfte als Arbeitsgemeinschaftsleiter für Referendare. Die Klägerin erzielte als Lehrerin am Gymnasium für die Fächer Musik und Deutsch Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit; sie befand sich nach der Geburt des 2. Kindes im Jahr 2008 überwiegend in Elternzeit.

In der Einkommensteuererklärung 2008 machte der Kläger bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer in Höhe von 1.139,69 EUR geltend. Der Beklagte das Finanzamt ließ diese Aufwendungen im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung unberücksichtigt, weil das Arbeitszimmer so die Begründung im Erläuterungstext nicht den Mittelpunkt der gesamten beruflichen Tätigkeit des Klägers darstelle (Bescheid vom 04.06.2009).

Hiergegen erhoben die Kläger Einspruch. Sie trugen vor, für die Beurteilung des Mittelpunkts der gesamten beruflichen Tätigkeit i. S. d. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 des EinkommensteuergesetzesEStG sei auf die gesamte berufliche Tätigkeit abzustellen und der Tätigkeitsmittelpunkt als qualitativer Schwerpunkt unter Erfassung aller Einzeltätigkeiten in ihrer Gesamtheit zu bestimmen. Hiernach liege der Mittelpunkt der Tätigkeit des Klägers im häuslichen Arbeitszimmer. Der Kläger unterliege als Richter keinen festen Dienstzeiten. Seine wöchentliche Arbeitszeit habe im Streitjahr annähernd 50 Stunden betragen, 2/3 hiervon habe er im häuslichen Arbeitszimmer verbracht. Abgesehen von der Sitzungstätigkeit, die wöchentlich durchschnittlich ca. 3 Stunden umfasse, habe er im Gericht keine Anwesenheitspflichten. Im Dezernat bearbeite er zu etwa 40 % Beschwerdeverfahren, die im wesentlichen Einzelrichtersachen seien und nahezu ausschließlich im schriftlichen Verfahren zu Hause im Arbeitszimmer gelesen und entschieden würden. Bei den übrigen Akten des Dezernats (etwa 60 %) handele es sich um Berufungssachen. Hiervon seien ein Drittel (absolut rund 20 %) erfolglose Anträge auf Prozesskostenhilfe, die vom Senat ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren entschieden würden; die damit verbundene Arbeit erledige der Kläger ganz überwiegend zu Hause. Ein weiteres Drittel der Berufungsverfahren (absolut rund 20 %) seien Zurückweisungen ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen Senatsbeschluss; auch diese Arbeiten würden ganz überwiegend im Arbeitszimmer erbracht. Von den verbleibenden Berufungsverfahren werde rund die Hälfte (insgesamt ca. 10 %) nach fernmündlicher Erörterung der Sach- und Rechtslage mit den Verfahrensbevollmächtigten im Wege eines gerichtlichen Vergleichs erledigt; die Vorarbeiten hierfür würden ganz überwiegend im häuslichen Arbeitszimmer erbracht. Lediglich in 10 % der zu bearbeitenden Fälle komme es zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Die hierfür anfallende Arbeitszeit in den Räumlichkeiten des Gerichts mache nur etwa ein Fünfzehntel der Gesamtarbeitszeit aus und sei nicht für die Gesamttätigkeit prägend, zumal auch in diesen Fällen Rechtsfragen, nicht Fragen der Sachverhaltsermittlung im Vordergrund stünden. Nach alledem liege nicht nur der quantitative, sondern auch der qualitative Schwerpunkt der Berufstätigkeit des Klägers im seinem häuslichen Arbeitszimmer, wo der Kläger oft nach zeitaufwendigem Aktenstudium ein umfangreiches Votum unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung und unter Nutzung der Rechtsdatenbanken erstelle. Für den Kläger gelte insoweit nichts anderes als für einen im Außendienst tätigen Verkaufsleiter (BFH-Urteil VI R 104/01), einen Vertriebsingenieur (BFH-Urteil VI R 86/01), einen Kfz-Schadensgutachter (BFH-Urteil VI R 84/02) und einen Gerichtsvollzieher (FG Nürnberg, Urteil vom 26.10.2006, DStRE 2007, 595).

Das Finanzamt änderte die Einkommensteuerfestsetzung 2008 insoweit, al...

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