Entscheidungsstichwort (Thema)

Investitionzulagengesetz 2006: Vertrauensschutz gegenüber Subventionsnormen bei bindenden Investitionsentscheidungen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Es wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt, ob § 2 Satz 2 Nr. 4 des Investitionszulagengesetzes 1996 in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999 vom 19. Dezember 1998 insoweit mit Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz vereinbar ist, als die Vorschrift auch Investitionen umfasst, bezüglich deren der Investor eine bindende Investitionsentscheidung vor dem 28. September 1998 getroffen hat.

2. Der Adressat wirtschaftspolitischer Lenkungsnormen, zu denen das Investitionszulagengesetz 1996 gehört, genießt von dem Zeitpunkt seiner bindenden und nicht mehr ohne weiteres reversiblen Dispositionsentscheidung an Vertrauensschutz gegenüber Gesetzen, die die in diesen Lenkungsnormen enthaltenen Begünstigungen einschränken oder aufheben. Dabei ist das Vertrauen des Adressaten in den Bestand der Norm nach den (strengen) Maßstäben der echten Rückwirkung geschützt.

3. Es erscheint zweifelhaft, ob von einem Investor – praktisch dessen steuerlichem Berater – überhaupt dem Grunde nach erwartet werden kann, Rechtsakte des Gemeinschaftsrechts uneingeschränkt ebenso zu kennen wie nationales Recht, und diese daher die Entstehung schutzwürdigen Vertrauens verhindern können.

 

Normenkette

InvZulG 1996 § 2 S. 2 Nr. 4 Fassung: 19.12.1998; StEntlG 1999; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 100 Abs. 1; BVerfGG § 80 Abs. 1

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 04.10.2011; Aktenzeichen 1 BvL 3/08)

 

Tenor

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Es wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt, ob § 2 Satz 2 Nr. 4 des Investitionszulagengesetzes 1996 in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999 vom 19. Dezember 1998 insoweit mit Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz vereinbar ist, als die Vorschrift auch Investitionen umfasst, bezüglich deren der Investor eine bindende Investitionsentscheidung vor dem 28. September 1998 getroffen hat.

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin unterhält einen Mühlenbetrieb. Sie beantragte am 10. September 1999 Investitionszulage für das Jahr 1998 in Höhe von zunächst DM 594.859,00 (Fördersatz von 10 % bei einer Bemessungsgrundlage von DM 5.948.587,00) und stockte die beantragte Bemessungsgrundlage bei einer Augenscheinseinnahme auf DM 5.962.238,22 auf. Der Beklagte setzte – nachdem die Klägerin augenscheinlich auf Grund eines Versehens Zulage für einen Betrieb des Groß- und Einzelhandels beantragt hatte – Investitionszulage für Handwerk/ verarbeitendes Gewerbe lediglich für eine Bemessungsgrundlage von DM 1.917.977,00 in Höhe von DM 191.798,00 fest. Ein kleinerer Teil der Änderungen beruhte auf nicht mehr streitigen Feststellungen.

Im Klageverfahren hat der Beklagte auf Grund von ebenfalls nicht streitigen Feststellungen eine weitere Kürzung auf eine Bemessungsgrundlage von DM 1.754.677,00 und eine Investitionszulage von DM 175.467,70 vorgenommen, die Klägerin ihrerseits noch ergänzt, dass im Jahre 1998 bei ihr weniger als 100 Mitarbeiter beschäftigt gewesen seien.

Der auf eine Bemessungsgrundlage von DM 3.940.081,00 entfallende und streitige Teil der Kürzung beruht auf der Anwendung des durch das Steuerentlastungsgesetz 1999 vom 19. Dezember 1998 eingefügten § 2 Satz 2 Nr. 4 Investitionszulagengesetz – InvZulG – 1996, der zahlreiche nach dem 2. September 1998 stattgefundene Anschaffungs- und Herstellungsvorgänge im Agrarsektor von der Investitionszulagenbegünstigung ausschloss. Die Vorschrift wiederum ist zurückzuführen auf eine im Jahre 1998 bestandskräftig gewordene Entscheidung der Europäischen Kommission über Beihilfemöglichkeiten im Agrarsektor, der ein jahrelanger Streit zwischen der Bundesrepublik und der Kommission vorausgegangen war.

Alle in diesem Teil der Bemessungsgrundlage enthaltenen Wirtschaftsgüter waren nach dem 2. September 1998 angeschafft, während die Klägerin unstreitig ihre verbindlichen Investitionsentscheidungen vor dem 3. September 1998 getroffen hatte. Es handelt sich um folgende Investitionskomplexe:

Bemessungsgrundlage (DM)

Abstehzellen

134.711,37

Getreidesilo-Komplex

229.311,62

Laborgeräte

42.678,01

Neue Weizenmühle

1.475.000,00

Verarbeitungslinie „Weizen”

1.475.000,00

Transformatorenstation und Niederspannungshauptverteilung

266.924,84

Auflieger MD-MM 67

205.000,00

FTH-Paletten-Transportanlage

25.000,00

Signiersystem „UNICORN”

3.620,05

Signiersystem „UNICORN”

3.264,15

FTH-Paletten-Transportanlage

26.100,00

Gossenentstaubungsanlage

53.471,06

Summe

3.940.081,10

Für den Getreidesilo-Komplex, die Weizenmühle, die Verarbeitungslinie Weizen, den Auflieger und die zweitgenannte FTH Paletten-Transportanlage (mithin für Wirtschaftsgüter mit einer Bemessungsgrundlage von insgesamt DM 3.410.411,62) liegt zudem ein belegmäßiger Nachweis dafür vor, dass die verbindlichen Bestellungen vor diesem Datum liegen. Die neue Weizenmühle kann überdies ohne Abstehzellen nicht betrieben werden. Alle streitigen Wirtschaftsgüter sind erforderl...

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