rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebshof des Arbeitgebers als einem Müllwerker vom Arbeitgeber zugewiesene „erste Tätigkeitsstätte”

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Für einen Müllwerker, der arbeitstäglich als einer von zwei sogenannten Läufern neben dem Kraftfahrer auf dem Lkw mitfährt, der die Mülltonnen der Kunden entleert und der nach Weisung des Arbeitgebers morgens immer zum Betriebshof des Arbeitsgebers kommen muss, um sich nach dem Umkleiden zunächst die Ansage der Einsatzleitung anzuhören, in den sog. Tourenraum zu gehen, sich das Tourenbuch sowie die Fahrzeugpapiere und die Fahrzeugschlüssel abzuholen, das Müllfahrzeug aufzusuchen und mit zwei anderen Kollegen die Beleuchtung des Fahrzeugs zu kontrollieren, stellt der Betriebshof die „erste Tätigkeitsstätte” im Sinne des § 9 Abs. 4 EStG dar; insoweit ist nicht erforderlich, dass der Arbeitnehmer an der betrieblichen Einrichtung (hier: Betriebshof) seine eigentliche berufliche Tätigkeit ausübt.

2. Nach § 9 Abs. 4 EStG in der ab 2014 geltenden Fassung tritt bei Vorliegen einer dauerhaften arbeits- oder dienstrechtlichen Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer betrieblichen Einrichtung das konkrete Gewicht der an dieser Einrichtung ausgeübten Tätigkeit zugunsten der arbeitgeberseitigen Zuordnung in den Hintergrund; insoweit kommt es nicht mehr auf den nach qualitativen Merkmalen zu bestimmenden Schwerpunkt der Tätigkeit des Arbeitnehmers an. Nur wenn der Arbeitnehmer keine erste Tätigkeitsstätte kraft dauerhafter Zuordnung im Sinne von § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG hat, ist auf die in § 9 Abs. 4 Satz 4 EStG genannten quantitativen Merkmale abzustellen.

 

Normenkette

EStG § 9 Abs. 4a S. 2 Nr. 3, Abs. 4 Sätze 1-3

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 02.09.2021; Aktenzeichen VI R 25/19)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit des Jahres 2016 (Streitjahr).

Der in C… wohnende Kläger bezog im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Er ist seit dem 1. Dezember 2015 als Müllwerker für die B…-betriebe tätig und seit diesem Zeitpunkt im Betriebshof der B…-betriebe in der D…-straße in C… eingesetzt. Auf die mit der B…-betriebe am 30. Oktober 2015 bzw. 2. November 2016 abgeschlossenen Arbeitsverträge wird wegen der Einzelheiten verwiesen.

Der Kläger fährt arbeitstäglich, so auch im Streitjahr, als einer von zwei sog. Läufern neben dem Kraftfahrer auf dem Lkw mit, der die Mülltonnen der Kunden entleert. Der Beginn des Arbeitstags des Klägers gestaltet sich wie folgt:

Der Kläger kleidet sich morgens auf dem Betriebshof der B…-betriebe in der D…-straße zunächst um und hört sich die Ansage der Einsatzleitung an. Danach geht er in den sog. Tourenraum und holt das Tourenbuch, die Fahrzeugpapiere und die Fahrzeugschlüssel ab. Dann geht der Kläger zum Fahrzeug runter und kontrolliert mit zwei anderen Kollegen die Beleuchtung des Müllfahrzeugs. Der Kraftfahrer sitzt zumeist im Fahrzeug und betätigt die Blinker. Der Kläger oder sein Kollegen schauen, ob der Blinker funktioniert, und laufen um das Fahrzeug herum und kontrollieren die Beleuchtung.

In seiner für 2016 eingereichten Einkommensteuererklärung machte der Kläger als Werbungskosten u. a. Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen aufgrund einer Abwesenheit von mehr als acht Stunden an 225 Tagen in Höhe von insgesamt 2.700 EUR geltend (225 Tage × 12 EUR). Der Beklagte folgte insoweit nicht der Einkommensteuererklärung, weil er die Auffassung vertrat, dass keine beruflich veranlasste Auswärtstätigkeit von mindestens acht Stunden gegeben sei, und erließ dementsprechend am 11. April 2017 den Einkommensteuerbescheid für 2016 ohne Ansatz der in Höhe von 2.700 EUR geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen.

Der Kläger erhob gegen den Einkommensteuerbescheid für 2016 Einspruch und trug vor, dass er unter Berücksichtigung des ab dem 1. Januar 2014 geltenden Reisekostenrechts keine erste Tätigkeitsstätte habe. Vielmehr werde er nur auswärts tätig. Bei dem fraglichen Ort, an dem er das Müllfahrzeug abhole, handele es sich um einen Sammelpunkt. Somit sei die Abwesenheit von der Wohnung maßgebend. Da seine, des Klägers, tägliche Arbeitszeit 7,8 Stunden betrage, habe im Streitjahr eine mehr als achtstündige Abwesenheit von der Wohnung vorgelegen.

Der Beklagte reagierte mit Schreiben vom 11. Mai 2017. Er wies darauf hin, dass die B…-betriebe nach seinen Erkenntnissen eine sog. erste Tätigkeitsstätte für die Arbeitnehmer festlege. Sofern dies nicht zutreffe, sollte der Kläger eine Arbeitgeberbescheinigung vorlegen, aus welcher hervorgehe, dass organisatorisch keine erste Tätigkeitsstätte für ihn festgelegt worden sei. Zudem sollte aus der Bescheinigung hervorgehen, welchen Tätigkeiten der Kläger am Betriebshof nachkomme und dass er arbeitstäglich über acht Stunden auswärts tätig sei. Weiter führte ...

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