rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschäftsführerhaftung bei ungekürzter Lohnzahlung trotz Kenntnis der Zahlungsschwierigkeiten der GmbH. keine Berufung auf materielle Unrichtigkeit der Lohnsteueranmeldungen bei formeller Bestandskraft (Unanfechtbarkeit) der Festsetzungen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Geschäftsführer einer GmbH handelt haftungsbegründend grob fahrlässig, wenn er trotz Kenntnis der massiven finanziellen Schwierigkeiten, in denen sich seine Gesellschaft befindet, Arbeitslöhne ohne Einbehaltung und Abführung der angemeldeten Steuerabzugsbeträge ungekürzt auszahlt.

2. Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers entfällt weder dadurch, dass der Steuerausfall unter Annahme einer hypothetischen, auf § 130 Abs. 1 InsO gestützten Anfechtung gedachter Steuerzahlungen durch den Insolvenzverwalter ebenfalls entstanden wäre, noch dadurch, dass die Nichtzahlung der fälligen Steuern in die dreiwöchige Schonfrist fällt, die dem Geschäftsführer zur Massesicherung ab Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gem. § 64 Abs. 1 S. 1 GmbHG eingeräumt ist.

3. § 166 AO stellt ab auf die Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung, nicht auf deren Unabänderbarkeit. Die gegenteilige Auslegung des § 166 AO durch einige Finanzgerichte, die dem BFH-Beschluss vom 28.2.2001 (Az.: VII B 213/00, BFH/NV 2001,1217) gefolgt sind „unanfechtbar” = „unabänderbar”), ist mit dem Wortlaut der Vorschrift nicht vereinbar und wird auch dem Zweck der Regelung nicht gerecht.

 

Normenkette

AO § 191 Abs. 1 S. 1, §§ 69, 34 Abs. 1, §§ 5, 166, 168 S. 1, § 164 Abs. 2; InsO § 21 Abs. 1, §§ 129, 130 Abs. 1; GmbHG § 64 Abs. 1 S. 1

 

Tenor

Der Haftungsbescheid vom 24. Februar 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. November 2010 wird dahingehend geändert, dass die Haftungssumme im Umfang der bislang berücksichtigten Abgabenverbindlichkeiten betreffend den Monat Mai 2004 herabgesetzt wird; im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Beklagte den Kläger als ehemaligen Geschäftsführer einer B. GmbH mit Sitz in C. wegen rückständiger Lohnsteuern nebst Solidaritätszuschlägen hierzu sowie rückständiger ev. und röm.-kath. Lohnkirchensteuern für den Zeitraum Mai 2003 bis einschließlich Mai 2004 persönlich in Haftung nehmen kann.

Die B. GmbH wurde durch Gesellschaftsvertrag vom 15. August 2000 gegründet (UR-Nr. … des Notars D. aus E.). Unternehmensgegenstand war der „Elektroanlagenbau in Wohn-, Industrie- und Gewerbebauten und alle damit in Zusammenhang stehenden Geschäfte”. Der 1972 geborene Kläger und die 1936 geborene Frau F. übernahmen jeweils Gesellschaftsanteile in Höhe der Hälfte des Stammkapitals der Gesellschaft. Außerdem wurde der Kläger zum alleinigen Geschäftsführer der B. GmbH bestellt.

Die B. GmbH führte Elektroinstallationsarbeiten aus und erstellte Beleuchtungsanlagen größeren Umfangs. Auftraggeber waren dabei überwiegend öffentliche Einrichtungen und Körperschaften. Der Geschäftsbetrieb wurde im Verlauf des Monats April 2004 eingestellt.

Die B. GmbH beschäftigte ursprünglich bis zu 12 Arbeitnehmer. Im Zeitpunkt der Einstellung des Geschäftsbetriebs gab es nach Angaben des Klägers noch fünf Arbeitnehmer.

Die Landesjustizkasse G. beantragte bereits im Juli 2001 die Löschung der B. GmbH im Handelsregister wegen Vermögenslosigkeit, was diese jedoch abwenden konnte.

Mit der Erstellung der notwendigen monatlichen Lohnsteueranmeldungen für den hier streitgegenständlichen Zeitraum hatte die B. GmbH die H. GmbH mit Sitz in C. beauftragt. Die Anmeldungen wiesen Zahllasten in Höhe von bis zu rund 2 500 EUR pro Monat aus und waren von einer Mitarbeiterin der H. GmbH (Frau I.) unterschrieben worden. Die B. GmbH entrichtete die sich daraus ergebenden Abgabenverbindlichkeiten im Zeitpunkt ihrer jeweiligen Fälligkeit jedoch nicht. Die B. GmbH war vorher bereits hinsichtlich der Lohnsteuerzahlung für den Monat November 2002 in Rückstand geraten, so dass der Beklagte am 19. Februar 2003 eine erste Pfändungs- und Einziehungsverfügung gegenüber der Sparkasse erließ.

Der Beklagte stellte die Beträge ohne Änderungen zeitnah zum Soll. Anträge auf Änderung der selbst angemeldeten Lohnsteuern i. S. von § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) wurden von der B… GmbH nicht gestellt. Sie gab nur hinsichtlich zweier streitgegenständlicher Anmeldungszeiträume (September und Dezember 2003) innerhalb von zwei Monaten nach Abgabe der ursprünglichen Anmeldung betragsmäßig geringfügig korrigierte Anmeldungen ab, die der Beklagte entsprechend zum Soll stellte.

Nachdem eine Gerichtsvollzieherin bereits im ersten Quartal 2004 für insgesamt 29 Gläubiger Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen und vier Krankenkassen Anträge auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der B. GmbH gestellt hatten (erster Antrag erfolgte am 2. April 2004 durch die J. Krankenkasse aus K.), erging durch das Amtsgericht C. als Insolvenzgericht am 27. Mai 2004 ein Sicherungsbesch...

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