Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Anspruch auf (Differenz-) Kindergeld bei Berufstätigkeit beider Elternteile in der Schweiz. Rechtmäßigkeit der Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung bei falscher Benennung der Änderungsvorschrift

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Änderung der Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 2 EStG kommt nicht in Betracht, wenn die Familienkasse das Recht von Anfang an fehlerhaft angewandt hat.

2. Die Änderung eines Kindergelbescheides ist auch dann rechtmäßig, wenn die Familienkasse die Änderung auf eine falsche Vorschrift stützt (§ 70 Abs. 2 EStG statt § 173 Abs. 1 S. 1 AO).

3. Ein Bescheid, durch den die Festsetzung von Kindergeld aufgehoben wird, ist nicht allein deshalb nichtig, weil er den ursprünglichen Festsetzungsbescheid nicht ausdrücklich bezeichnet.

4. Wohnen die Eltern mit ihrem Kind in Deutschland und sind beide Elternteile in der Schweiz berufstätig, stehen ihnen Leistungen für ihr Kind nur nach dem in der Schweiz geltenden Recht zu. Es besteht im Inland kein Anspruch auf (Differenz-)Kindergeld.

5. § 65 Abs. 2 EStG verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG und gegen Unionsrecht, soweit eine Teilkindergeldregelung auch dann nicht vorgesehen ist, wenn ein Anspruch auf vergleichbare, aber geringere Leistungen an einem Beschäftigungsort im Ausland besteht.

 

Normenkette

EStG § 70 Abs. 2, § 31 S. 3, § 68 S. 1, § 62 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2, § 32 Abs. 1, 3, § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2, § 66; AO § 37 Abs. 2, § 155 Abs. 4, § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 119 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1; Verordnung 574/72/EWG Art. 10 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 12.09.2013; Aktenzeichen III R 32/11)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger ist Vater der am 7. August 1996 geborenen Tochter T.

Die Mutter von T und Ehefrau des Klägers, B (B), ist seit 1. Oktober 1992 als Arbeitnehmerin in … (R), Schweizerische Eidgenossenschaft (Schweiz), tätig. Jedenfalls seit Juni 2002 erhält B in der Schweiz Kinderzulagen.

In einem Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs auf Kindergeld vom 14. April 2000 gab der Kläger zu seiner eigenen Tätigkeit an, er sei in … (G), Bundesrepublik Deutschland (Deutschland), selbständig tätig. Im Fragebogen vom 19. Dezember 2001 gab der Kläger an, nur B sei außerhalb Deutschlands beruflich tätig. Auch im Fragebogen vom 17. Dezember 2003 erwähnte der Kläger nur eine selbständige Tätigkeit in G, Deutschland.

Die Beklagte (die Familienkasse –FK–) gewährte dem Kläger seit Geburt Kindergeld für T. Seit Juni 2002 erhielt er Differenzkindergeld. Gemäß den Kindergeldbescheiden vom 22. Februar 2005 und 2. September 2005 erfolgte die Festsetzung seit Januar 2005 bzw. September 2005 nach § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) vorläufig, weil der Kläger der FK die Höhe der Schweizer Kinderzulagen nicht nachgewiesen hatte.

Erstmals im Fragebogen vom 15. September 2007 (Bl. 64 der Kindergeldakte) gab der Kläger an, er sei bei der … GmbH (L-GmbH) in … (B), Schweiz, als Arbeitnehmer tätig. Daneben sei er, der Kläger, als Lotterieeinnehmer, Blockheizkraftwerkbetreiber und Gesellschafter der … GmbH & Co. KG (M-GmbH & Co. KG) mit Sitz in G, Deutschland selbständig tätig. Die Tätigkeit als Arbeitnehmer in der Schweiz sei geringfügig (Arbeitslohn 2005: 7.983 Schweizer Franken –CHF–, Arbeitslohn 2006: 783 CHF). B sei neben ihrer Arbeitnehmertätigkeit in R, Schweiz, als Kommanditistin Mitunternehmerin der M-GmbH & Co. KG in G, Deutschland.

Mit Schreiben vom 26. August 2008 ließ der Kläger erstmals vortragen, seine –in der Schweiz sozialversicherungspflichtige– Tätigkeit bei der L-GmbH bestehe bereits seit 2002. Aus den auf Anforderung der FK vorgelegten Lohnausweisen des Klägers für die Jahre 2003 bis 2007 ergibt sich, dass der Kläger mindestens seit 2003 Beiträge zur Schweizerischen Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) gezahlt hat.

Die FK hob daraufhin durch Bescheid vom 27. November 2008 die Kindergeldfestsetzung für T ab Januar 2003 auf und forderte das gezahlte Differenzkindergeld in Höhe von insgesamt 5.230,67 EUR zurück. Als Änderungsvorschrift wurde § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) angegeben; wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen.

Den Einspruch des Klägers vom 23. Dezember 2008 wies die FK durch Einspruchsentscheidung vom 15. Januar 2010 als unbegründet zurück. Der Kindergeldanspruch des Klägers sei durch § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen. Aus den gemeinschaftsrechtlichen Regelungen folge nichts anderes, weil der Kläger nur in der Schweizerischen AHV, nicht aber in Deutschland sozialversicherungspflichtig sei. § 70 Abs. 2 EStG sei auch die zutreffende Änderungsvorschrift. Aufhebung und Rückforderung seien auch rückwirkend bis 2003 möglich.

Mit seiner Klage lässt der Kläger vortragen, die Voraussetzungen der § 70 Abs. 2 EStG, § 37 Abs. 2 AO lägen nicht vor. § 70 Abs. 2 EStG sei nicht die zutreffende Änderungsvorschrift, weil die FK lediglich ihr...

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