Entscheidungsstichwort (Thema)

Änderung eines im Massenrechtsbehelfsverfahren geänderten Bescheids wegen neuer Tatsachen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Erlässt das FA in einem Massenrechtsbehelfsverfahren einen geänderten Bescheid, mit dem der angefochtene Einkommensteuerbescheid wegen beim BVerfG oder beim BFH anhängiger Musterverfahren für vorläufig erklärt wird, ist eine Änderung des geänderten Bescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO auch dann möglich, wenn dem FA die neuen Tatsachen zum Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheids bereits bekannt waren.

2. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das FA im Einspruchsverfahren grundsätzlich verpflichtet ist, die Sache in vollem Umfang erneut zu überprüfen, da der vom Steuerpflichtigen gestellte Antrag die Sachaufklärungspflicht des FA begrenzt.

 

Normenkette

AO § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 367 Abs. 2 S. 2

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 18.12.2014; Aktenzeichen VI R 21/13)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Beklagte einen Änderungsbescheid erlassen durfte, in dem er die Ergebnisse einer Lohnsteuer-Außenprüfung der Besteuerung zu Grunde gelegt hat.

Nach Eingang der Einkommensteuererklärung der Klägerin für das Streitjahr beim Beklagten am 29. März 2006 erließ dieser am 26. Juni 2006 einen erstmaligen Einkommensteuerbescheid (Bl. 39 ff Einkommensteuerakte). Dagegen legte die Klägerin am 7. Juli 2006 Einspruch ein. Sie beantragte wegen des am 22. Juli 2004 erfolgten Todes ihres Ehemannes die Berücksichtigung eines Entlastungsbetrages für Alleinerziehende gemäß § 24b des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 654 EUR. Darüber hinaus bat sie um Ruhen des Verfahrens hinsichtlich folgender Punkte wegen anhängiger Musterverfahren beim Bundesfinanzhof (BFH) bzw. beim Bundesverfassungsgericht:

  • Vollständiger Abzug der Arbeitnehmeranteile für die Rentenversicherung als Sonderausgaben gemäß § 10 EStG
  • Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags
  • Kürzung des Vorwegabzuges bei Zusammenveranlagung
  • unbeschränkter Abzug von Krankenversicherungsbeiträgen als Vorsorgeaufwendungen.

Am 13. Juli 2006 erließ der Beklagte einen Änderungsbescheid (Bl. 57 ff Einkommensteuerakte). In den Erläuterungen dazu heißt es: „Aufgrund Ihres Einspruchs wurde noch ein Entlastungsbetrag für Alleinerziehende gewährt. Der Einspruch erledigt sich hierdurch nicht. Es handelt sich vielmehr um eine Teilabhilfe. Ihrem Antrag auf Ruhen des Verfahrens bzgl. der anhängigen Verfahren wird zugestimmt.”

Gegen den Bescheid legte die Klägerin erneut Einspruch ein und trug vor, dass der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende zu Unrecht nur in Höhe von 545 EUR gewährt worden sei. Mit Bescheid vom 24. Juli 2006 berücksichtigte der Beklagte den Entlastungsbetrag in voller Höhe (Bl. 75 ff Einkommensteuerakte). Im Übrigen ruhte der Einspruch wegen der o.g. Punkte.

Mit Schreiben vom 23. April 2009 (Bl. 91 ff Einkommensteuerakte) teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass ein Ruhen des Verfahrens nicht mehr in Betracht komme. Er stellte der Klägerin jedoch in Aussicht, hinsichtlich einiger im Einzelnen aufgeführter Punkte „im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit und verfassungskonforme Auslegung der Norm” die Steuerfestsetzung vorläufig vorzunehmen. Am Ende des Schreibens heißt es: „Die für Sie in Betracht kommenden Vorläufigkeitspunkte werden programmgesteuert für jeden Veranlagungszeitraum ermittelt! Sie werden gebeten, bis spätestens 10.05.2009 mitzuteilen, ob Sie mit der Erledigung des o.g. Einspruchs in vorgenannter Weise einverstanden sind.” Mit Bescheid vom 15. Juni 2009 (Bl. 97 ff Einkommensteuerakte) verfuhr der Beklagte wie angekündigt und nahm entsprechende Vorläufigkeitsvermerke in den Bescheid auf. Im Übrigen blieb dieser – auch betragsmäßig – unverändert.

Am 9. März 2010 erließ der Beklagte einen geänderten Einkommensteuerbescheid (Bl. 111 ff Einkommensteuerakte), in dem eine Prüfungsmitteilung vom 6. März 2008 (Bl. 107 Einkommensteuerakte), resultierend aus einer beim Arbeitgeber der Klägerin, der X GmbH, durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung, ausgewertet wurde. Angesetzt wurde ein geldwerter Vorteil aufgrund einer Kfz-Überlassung an die Klägerin. Der Bescheid enthält die Feststellung: „Der Bescheid ist nach § 129 AO berichtigt.”

Gegen den geänderten Bescheid legte die Klägerin am 29. März 2010 Einspruch ein. Sie führte aus, dass § 129 der Abgabenordnung (AO) nicht die richtige Änderungsvorschrift sei. Einschlägig sei vielmehr § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gewesen. Zum Zeitpunkt der Änderung am 15. Juni 2009 seien die Feststellungen der Lohnsteuer-Außenprüfung bereits bekannt gewesen. Bei der erneuten Änderung am 9. März 2010 seien die fraglichen Feststellungen nicht mehr neu gewesen. Eine Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO scheide daher aus.

Mit Einspruchsentscheidung vom 4. Januar 2011 (Bl. 33 ff Rechtsbehelfsakte) wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Er begründete dies damit, dass – eb...

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