Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Aufrechnung von Umsatzsteuererstattungsansprüchen gegen Haftungsschuld aus § 74 AO

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Voraussetzung für eine wirksame Aufrechnung ist, dass Haupt- und Gegenforderung auf eine gleichartige Leistung gerichtet sind, wobei es auf den Schuldgrund nicht ankommt.

2. Der Anspruch des FA auf Duldung der Zwangsvollstreckung in ein Grundstück nach § 74 AO kann mangels Gleichartigkeit nicht gegen den Anspruch des Haftungsschuldners auf Erstattung von Umsatzsteuer aufgerechnet werden.

 

Normenkette

AO §§ 74, 191, 47, 218 Abs. 2, § 226 Abs. 1; BGB § 387

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 28.01.2014; Aktenzeichen VII R 34/12)

 

Tenor

1. Der Abrechnungsbescheid vom 20. Juni 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. Oktober 2011 wird dahingehend geändert, dass zugunsten der Klägerin ein Umsatzsteuererstattungsanspruch für 2007 in Höhe von insgesamt 27.054,31 EUR, für 2008 in Höhe von insgesamt 51.381,89 EUR, für 2009 in Höhe von 29.216,01 EUR und in 2010 in Höhe von 8.388,83 EUR festgestellt wird.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der noch zu erlassende Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500,– EUR, hat die Klägerin in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruchs Sicherheit zu leisten. Liegt der vollstreckbare Kostenerstattungsanspruch im Wert bei 1.500,– EUR oder darunter, ist das Urteil hinsichtlich der Kosten ohne Sicherheitsleistung vollstreckbar. In diesem Fall kann der Beklagte der Vollstreckung widersprechen, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruchs Sicherheit leistet.

5. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin ist alleinige Gesellschafterin der A GmbH (im Weiteren GmbH). Bis Ende 2006 war sie zugleich deren Geschäftsführerin. Mit Beschluss vom 1. Februar 2011 wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens war am 24. November 2010 gestellt worden.

Mit Bescheid vom 25. Februar 2011 nahm der Beklagte die Klägerin nach § 191 in Verbindung mit § 74 Abgabenordnung (AO) in Haftung. Die GmbH hatte Umsatzsteuerrückstände (2007 – 2010) in Höhe von insgesamt 156.244,– EUR (2007: 36.522,– EUR, 2008: 57.186,– EUR, 2009: 36.099,– EUR und 2010: 26.437,– EUR). Der Beklagte führte zur Inhaftungnahme aus, die Klägerin hafte für diese Steuern mit sämtlichen Gegenständen, die sie der GmbH in den Jahren 2007 – 2010 überlassen hat. Dabei handle es sich um die in ihrer Bilanz bspw. zum 31. Dezember 2008 aufgeführten Sachanlagen (Grund und Boden sowie Gebäude in X, … straße xx) mit Buchwerten (zum 31. Dezember 2008) von 360.949,– EUR (Rechtsbehelfsakten Blatt 9). Diese Grundstücke gehörten nach wie vor der Klägerin. Sie sei an der GmbH wesentlich beteiligt und habe dieser bedeutende Wirtschaftsgüter (Grundstücke mit Gebäuden) zur Nutzung überlassen. Die Umsatzsteuer, für die die Haftung geltend gemacht werde, sei während des Bestehens der wesentlichen Beteiligung entstanden. Die Voraussetzungen des § 74 AO seien erfüllt.

Mit Bescheiden vom 4. März 2011 wurden Umsatzsteuerfestsetzungen 2007 – 2010 gegenüber der Klägerin geändert. Ihrerseits entstanden folgende „Restguthaben” (in EUR):

Umsatzsteuer

Zinsen zu Umsatzsteuer

2007

24.265,31

2.789,–

2008

48.702,89

2.679,–

2009

29.216,01

2010

8.388,83

Die Änderungen erfolgten, weil zu Unrecht davon ausgegangen war, dass in 2007-2010 zwischen der Klägerin und der GmbH ein Organschaftsverhältnis bestanden hatte (Klägerin = Organträgerin, GmbH = Organgesellschaft). Schließlich war die Klägerin seit 1. Januar 2007 nicht mehr Geschäftsführerin der GmbH.

Mit Schreiben vom 28. März 2011 bat der jetzige Prozessbevollmächtigte der Klägerin, der zugleich der Insolvenzverwalter der GmbH ist, den Beklagten um Auszahlung der Umsatzsteuerrestguthaben an ihn. Die Klägerin habe ihre Umsatzsteuererstattungsansprüche an ihn abgetreten. Eine entsprechende Erklärung vom 18. Januar 2011 fügte er dem Schreiben bei (Rechtsbehelfsakten Blatt 45). Nachdem ihn der Beklagte darauf aufmerksam gemacht hatte, dass diese nicht den Anforderungen des § 46 Abs. 3 AO entspreche und daher nicht wirksam sei, reichte er eine formularmäßige Abtretungsanzeige vom 31. März 2011 über „110.573,04 EUR zzgl. Zinsen” ein (Rechtsbehelfsakten Blatt 53). Folgender Abtretungsgrund ist angegeben: „Begleichung einer Schuld”. Dem entgegnete der Beklagte, das Guthaben der Klägerin sei in voller Höhe mit ihren Haftungsschulden aufgerechnet worden.

Auf Antrag erließ der Beklagte mit Datum vom 20. Juni 2011 einen „Abrechnungsbescheid über die Umsatzsteuer 2007 bis 2010”. Auf dessen Inhalt wird im Einzelnen verwiesen (Rechtsbehelfsakten Blatt 75). Durch Aufrechnung erloschen ist danach ein Guthaben der Klägerin in Höhe von 116.041,04 EUR.

Die nach erfol...

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