Entscheidungsstichwort (Thema)

Erbschaftsteuer. Freibetrag für Pflegeleistungen. Bewertung von Pflegeleistungen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Auslagen im Zusammenhang mit Pflege- oder Unterhaltsleistungen sind bei einem Erwerb von Todes wegen mit dem Freibetrag nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG abgegolten

2. „Pflege” i. S. d. § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG bedeutet, einem infolge Krankheit, Behinderung, Alter oder aus einem sonstigen Grunde hilfsbedürftigen Menschen die erforderliche Fürsorge für sein körperliches oder seelisches Wohlbefinden mit einer gewissen Regelmäßigkeit und über eine längere Dauer zuzuwenden.

3. Auf das Vorliegen einer Pflegebedürftigkeit i. S. d. § 14 Abs. 1 SGB XI und die Zuordnung einer Pflegestufe gem. § 15 Abs. 1 SGB XI kommt es nicht an.

4. Die Befreiung wird nur gewährt, soweit das Zugewendete als angemessenes Entgelt für die Pflegeleistungen anzusehen ist. Deshalb muss es ungefähr dem Betrag entsprechen, den der Erblasser durch die Inanspruchnahme der Pflegeleistungen des späteren Erwerbers erspart hat.

5. Dabei ist nicht die Pauschalvergütung bei Inanspruchnahme von Pflegesachleistungen (§ 36 Abs. 3 SGB XI) anzusetzen, wenn der Erbe keine Hilfeleistungen bei den Verrichtungen i. S. d. § 14 Abs. 4 SGB XI geleistet hat. In diesem Fall ist der Wert der erbrachten Leistung zu schätzen.

6. Ist darüber zu entscheiden, inwieweit das letztwillig Zugewendete als angemessenes Entgelt anzusehen ist, so ist zunächst auf der Grundlage der wahren Werte festzustellen, in welchem prozentualen Ausmaß die Pflege angemessenes Entgelt für das letztwillig Zugewendete ist. In diesem Ausmaß ist der nach den Vorschriften des BewG bewertete Erwerb steuerfrei gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG.

7. Pflegeleistungen sind keine Schulden und Lasten i. S. d. § 10 Abs. 6 ErbStG.

 

Normenkette

ErbStG § 13 Abs. 1 Nr. 9, § 10 Abs. 6; SGB XI § 14 Abs. 1, § 15 Abs. 1, § 36 Abs. 3; BewG § 177

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 11.09.2013; Aktenzeichen II R 37/12)

 

Tenor

1. Der Erbschaftsteuerbescheid vom 6. Juli 2012 wird abgeändert und die Erbschaftsteuer auf 20.070 EUR festgesetzt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger zu 4/5 und dem Beklagten zu 1/5 auferlegt.

3. Die Revision wird zugelassen.

4. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

5. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat der Kläger in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruchs Sicherheit zu leisten. Liegt der vollstreckbare Kostenerstattungsanspruch im Wert bis zu 1.500 EUR, ist das Urteil hinsichtlich der Kosten ohne Sicherheitsleistung vollstreckbar. In diesem Fall kann der Beklagte die Vollstreckung durch einfache Erklärung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruchs Sicherheit leistet.

 

Tatbestand

Streitig ist, in welcher Höhe der Freibetrag für Pflegeleistungen nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG gewährt werden kann.

Die am 6. Dezember 2009 verstorbene kinderlose X (Erblasserin; geboren Juli 1920) setzte im notariellen Testament vom 10. Oktober 2007 (ErbSt-Akte Bl. 1 f.) ihren Neffen Y zum Alleinerben ein. Dem Kläger, der als Rechtsanwalt tätig ist, vermachte sie im Wege des Vermächtnisses zwei zu Wohnzwecken vermietete Eigentumswohnungen in A (C-Straße 1 mit Garage sowie D-Straße 2). Die Grundbesitzwerte für Zwecke der Erbschaftsteuer wurden vom Lage-Finanzamt A auf den 6. Dezember 2009 mit 71.370 EUR (C-Straße 1) sowie 31.734 EUR (D-Straße 2) gesondert festgestellt. Der Gesamtwert der zugewendeten Vermögenswerte belief sich demnach auf 103.104 EUR. Die Steuerberatungskosten für die Erstellung der Erbschaftsteuererklärung des Klägers betrugen 1.128 EUR.

Der Kläger, der mit der Erblasserin weder verwandt noch verschwägert war, hatte von ihr am 24. November 2004 eine General- und Vorsorgevollmacht erhalten.

Die Erblasserin wohnte bis Mai 2009 alleine in ihrer Wohnung in A, E-Straße 5. Im Juli 2009 wurde sie nach einem stationären Krankenhausaufenthalt in das Pflegeheim Z in A aufgenommen, in dem sie bis zu ihrem Tod lebte (vgl. FG-Akte Bl. 68). Bis zu ihrem Krankenhausaufenthalt führte die Erblasserin ihren Haushalt im Wesentlichen selbst. Sie war weder für das An- und Auskleiden, ihre Körperpflege, die Zubereitung und das Einnehmen ihrer Mahlzeiten noch für das Spülen des Geschirrs oder das Waschen ihrer Wäsche auf Unterstützung angewiesen, nahm allerdings 14-tägig die Hilfe einer Zugehfrau in Anspruch.

Die Erblasserin war seit dem 1. Mai 2009 in die Pflegestufe I und seit dem 1. Juli 2009 in die Pflegestufe II eingeordnet. Das Pflegegeld wurde auf das Konto der Erblasserin ausbezahlt, zu dessen Lasten auch die Kosten der Heimunterbringung finanziert wurden.

In seiner Erbschaftsteuererklärung vom 26. Juli 2010 beantragte der Kläger den Freibetrag für Pflegeleistungen in Höhe von 20.000 EUR. Diesen gewährte das beklagt...

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