rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Aussetzung der Vollziehung der Festsetzung von Kernbrennstoffsteuer wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit oder wegen Verstoßes gegen primäres und sekundäres Euoparecht. Definition der Verbrauchsteuer. Anforderungen an die Aussetzung der Vollziehung wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ernstliche Zweifel i. S. d. § 69 Abs. 2 FGO können nur solche Einwendungen gegen die Verfassungsmäßigkeit einer Norm begründen und zu einer Aussetzung der Vollziehung führen, deren Gewicht und Stringenz bereits in dem nur überschlägigen Erkenntnisverfahren erwarten lassen, dass die Feststellung der Verfassungswidrigkeit ernsthaft in Betracht kommt.

2. Die Vorschriften des KernbrStG stehen sowohl mit dem GG als auch mit den Vorgaben des Unionsrechts in Einklang (entgegen FG Hamburg v. 16.9.2011, 4 V 133/11 und FG München v. 5.10.2011, 14 V 2155/11).

3. Die in § 2 Nr. 1-3 KernbrStG definierten Kernbrennstoffe sind – wenn auch untypische – taugliche Gegenstände einer Verbrauchsteuer, da die Steuer an den Verbrauch der Kernbrennstoffe anknüpft.

4. Es gibt keinen Rechtssatz, der das Anknüpfen einer Verbrauchsteuer an ein Produktionsmittel verbietet und die Abwälzung der Steuer an den Verbraucher zwingend erfordert.

5. Nachdem der Umweltschutz in Art. 20a GG Eingang in das GG gefunden hat, können auch Belange des Umweltschutzes Anknüpfungspunkte für eine unterschiedliche Behandlung von Sachverhalten sein, so dass die Auswahl von Kernbrennstoffen als Steuergegenstand einer Verbrauchsteuer nicht willkürlich erscheint. Dies gilt umso mehr, als auch der Verbrauch von fossilen Brennstoffen durch Abgaben belastet ist.

6. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es infolge der zusätzlichen Belastung mit der Kernbrennstoffsteuer nicht mehr gelingen könnte, eine kerntechnische Anlage rentierlich zu betreuen, so dass die Kernbrennstoffsteuer nicht gegen Art. 14 Abs. 1 GG verstößt.

7. An der Einführung der Kernbrennstoffsteuer war der Gesetzgeber nicht durch die Verständigung gehindert, die die Bundesregierung am 14.6.2000 mit den Energieversorgungsunternehmen getroffen hat.

8. Die Anwendung des KernbrStG verstößt bei summarischer Prüfung nicht gegen primäres und sekundäres Europarecht.

 

Normenkette

KernbrStG § 1 Abs. 1 S. 2, §§ 2, 5 Abs. 1; FGO § 69 Abs. 2-4; Richtlinie 2003/96/EG (EnergieStRL) Art. 14 Abs. 1a; GG Art. 100 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 1. Alt., Art. 106 Abs. 1 Nr. 2, Art. 3, 14, 20a; EUROATOM-Vertrag Art. 93; VStSystRL Art. 1

 

Tenor

1. Der Antrag wird abgewiesen.

2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Beschwerde wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist im Verfahren zur Erlangung vorläufigen Rechtsschutzes die Rechtmäßigkeit der Festsetzung von Kernbrennstoffsteuer.

Die Antragstellerin betreibt ein Kernkraftwerk und ist Genehmigungsinhaberin im Sinne des Atomgesetzes. Im Juni 2011 befüllte sie den Kernreaktor i.S.d. § 2 Nr. 5 des Kernbrennstoffsteuergesetzes vom 8. Dezember 2010 (BGBl. I, S. 1804 – KernbrStG) ihres Kernkraftwerks mit Brennelementen i.S.d. § 2 Nr. 2 KernbrStG und löste am 10. Juni 2011 im Kernreaktor sich selbsttragende Kettenreaktionen i.S.d. § 2 Nr. 4 KernbrStG aus. Die dabei verwendeten Brennelemente enthielten xxxxx Gramm Uran 235 und damit Kernbrennstoff i.S.d. § 2 Nr. 1 Buchst. b KernbrStG.

In Bezug auf diesen – zwischen den Beteiligten unstreitigen – Sachverhalt errechnete die Antragstellerin in Befolgung der Vorschriften des KernbrStG entsprechend der Menge des verwendeten Kernbrennstoffs in ihrer am 12. Juli 2011 beim Antragsgegner eingereichten Steueranmeldung vom gleichen Tag Kernbrennstoffsteuer in Höhe von xxxxx EUR. Am 15. Juli 2011 hat sie gegen diese – als Steuerfestsetzung wirkende –Steueranmeldung Sprungklage erhoben, welche als Einspruch zu behandeln war, nachdem der Antragsgegner seine hierfür erforderliche Zustimmung nicht erteilt hat. Mit Schreiben ebenfalls vom 15. Juli 2011 hat die Antragstellerin beim Antragsgegner Aussetzung der Vollziehung beantragt. Nach der durch Bescheid vom 20. Juli 2011 erfolgten Ablehnung dieses Antrags, hat sie die Steuer in der angemeldeten Höhe bezahlt.

Mit Antrag vom 26. Juli 2011 begehrt die Antragstellerin nunmehr auf der Grundlage des § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Aufhebung der Vollziehung der vorgenannten Steuerfestsetzung durch das Finanzgericht. Die Rechtmäßigkeit dieser Festsetzung sei ernstlich zweifelhaft. Die ihr zugrunde liegenden Vorschriften des KernbrStG verstießen sowohl gegen Europarecht als auch gegen das Grundgesetz (GG). Hierbei geht die Antragstellerin von folgenden Erwägungen aus:

Die Steuer sei mit den Vorgaben des Europarechts nicht zu vereinbaren. Als Input-Besteuerung von Energieerzeugnissen verstoße die Kernbrennstoffsteuer gegen Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/96/EG des Rates zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Stro...

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